NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut: SLUB Dresden und vier weitere deutsche Kultureinrichtungen restituieren 221 Bücher an die Nachfahren von Henry Torrès

26.06.2025, 14:40 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)

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Bücher aus der Bibliothek Torrès (© Staatsbibliothek zu Berlin)

Bücher aus der Bibliothek Torrès (© Staatsbibliothek zu Berlin)

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Autorenwidmung von Marcel Brion an Henry Torrès (© SLUB Dresden / Deutsche Fotothek, slub_prov_0024807)

Autorenwidmung von Marcel Brion an Henry Torrès in einem der von der SLUB Dresden identifizierten Bände „à Henry Torrès sympathique hommage Brion.“

Autorenwidmung von Marcel Brion an Henry Torrès (© SLUB Dresden / Deutsche Fotothek, slub_prov_0024807)

Autorenwidmung von Marcel Brion an Henry Torrès in einem der von der SLUB Dresden identifizierten Bände „à Henry Torrès sympathique hommage Brion.“

Autorenwidmung von Marcel Brion an Henry Torrès in einem der von der SLUB Dresden identifizierten Bände
„à Henry Torrès sympathique hommage Brion.“
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Provenienzforscherin Elisabeth Geldmacher im Buchmagazin der SLUB Dresden (© SLUB Dresden/ Anne-Kathrin Roßner)

Provenienzforscherin Elisabeth Geldmacher im Buchmagazin der SLUB Dresden (© SLUB Dresden/ Anne-Kathrin Roßner)

Fünf deutsche Kultureinrichtungen haben am 26. Juni 2025 in Paris den Nachfahren des bekannten französischen Anwalts, Journalisten und Politikers Henry Torrès (1891–1966) 221 Bücher übergeben. Die Bücher hatten Torrès oder einer seiner beiden Ehefrauen gehört. Sie konnten ihnen aufgrund der enthaltenen Widmungen zugeordnet werden.

Gemeinsame Restitution

Mehrere deutsche Bibliotheken waren an der Restitution beteiligt: 95 Bände stammen aus der Staatsbibliothek zu Berlin, 93 Bände aus dem Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin (ZfL). Hinzu kommen weitere 33 Bücher aus der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB Dresden), der Universitätsbibliothek Rostock und der Staatlichen Bücher- und Kupferstichsammlung Greiz. Für die Identifikation der Bücher waren die Erkenntnisse aus dem an der Staatsbibliothek durchgeführten Forschungsprojekt »NS-Raubgut nach 1945: Die Rolle der Zentralstelle für wissenschaftliche Altbestände (ZwA)« ausschlaggebend. Die ZwA war in der DDR die zentrale nicht-kommerzielle Stelle zur Verteilung von Bibliotheksgut wie etwa Dubletten. Darunter befand sich auch NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut (NS-Raubgut), das auf diesem Wege nach 1945 weiterverteilt wurde.

Nachdem die ersten Bücher zugeordnet worden waren, wurde anhand der zentral erfassten Provenienzdaten und der im ProvenienzWiki hinterlegten Informationen rasch deutlich, dass mehrere Kultureinrichtungen betroffen waren. Das Provenienzforschungsteam der Staatsbibliothek zu Berlin hat die Vorbereitung für die gemeinsame Restitution übernommen. Es wurde dabei von der Commission pour la restitution des biens et l’indemnisation des victimes de spoliations antisémites (CIVS) unterstützt, mit der seit einigen Jahren wiederholt in Restitutionsfragen zusammengearbeitet wird. Wichtig waren dabei sowohl für die Forschung relevante inhaltliche Aspekte und die Herstellung des Kontaktes zu den Erbinnen sowie die Begleitung der Umsetzung der Restitution.

Katrin Stump, Generaldirektorin der SLUB Dresden, betont: »Im Fall von erwiesenem NS-Raubgut betrachten wir uns nicht als Eigentümer der in unseren Beständen befindlichen Objekte und bemühen uns um Rückgaben bzw. um faire Lösungen im Sinne der Washingtoner Erklärung von 1998. Wir freuen uns daher, dass wir die Bücher aus dem Eigentum von Henry Torrès gemeinsam mit vier weiteren Einrichtungen an dessen Nachfahren zurückgeben konnten. Damit ist ein Teil seiner Bibliothek wieder an dem Ort zusammengeführt, an den sie rechtmäßig gehört.«

Henry Torrès (1891–1966)

Der in Les Andelys in der Normandie geborene Henry (auch: Henri) Torrès stammte aus einer jüdischen Familie und war seit seiner Jugend politisch aktiv: Er kandidierte für verschiedene kommunistische Gruppierungen, verteidigte Aktivisten und war journalistisch für L'Humanité, die Zeitung der Kommunistischen Partei Frankreichs, tätig.

Bekannt wurde Torrès nach dem Ersten Weltkrieg als Anwalt zahlreicher gesellschaftlicher sowie politischer Prominenter. Zu seinen größten Erfolgen zählt die Verteidigung von Scholom Schwartzbard im Jahr 1927. Schwartzbard (1886–1938) hatte den ehemaligen ukrainischen Präsidenten Symon Petlioura, der in Paris im Exil lebte, auf offener Straße erschossen, weil er ihn für die Pogrome in der Ukraine verantwortlich machte, bei denen er seine Familie verloren hatte. Henry Torrès erwirkte mithilfe von 80 Zeugen der Pogrome einen spektakulären Freispruch für Schwartzbard. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war er weit über Frankreich hinaus bekannt.

Torrès war von 1919 bis 1928 mit der ebenfalls jüdischen Jeanne, geb. Levylier, verheiratet, die später als Schulgründerin und letzte Ehefrau des französischen Präsidenten Léon Blum bekannt wurde. Von 1930 bis 1948 war Torrès mit der Widerstandskämpferin Suzanne, geb. Rosambert, verheiratet, die nach der Trennung den französischen General Jacques Massu heiratete.

Henry Torrès stand wegen seiner jüdischen Herkunft und aufgrund seiner anwaltlichen und politischen Tätigkeiten im direkten Fokus der deutschen Besatzer. In seiner Autobiographie berichtet er, dass seine Wohnung in der Avenue Hoche 38 unmittelbar nach der Besetzung von Paris 1940 und erneut im März 1941 durchsucht wurde und umfangreiche Beschlagnahmen stattfanden.

Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs arbeitete Torrès im Ministère de l’information der französischen Regierung. Infolge der deutschen Besetzung musste er diese Stellung aufgeben und floh schließlich in die USA. Dort lehrte er Strafrecht an der juristischen Fakultät der École Libre des Hautes Études Françaises in New York und war als Schriftsteller und Journalist aktiv. Im November 1945 kehrte er nach Frankreich zurück und vertrat von 1948 bis 1958 die von De Gaulle gegründete RPF-Partei im Senat des Departement Seine. Am 4. Januar 1966 verstarb Henry Torrès in Paris.

Provenienzwege der Bücher aus der Sammlung Torrès

Bei den 221 in deutschen Einrichtungen identifizierten Exemplaren der Provenienz Torrès handelt es sich um Werke, die er und seine Partnerinnen vornehmlich in den 1920er und 1930er Jahren von den Autorinnen und Autoren politischer und historischer Publikationen sowie belletristischer Werke und Theaterstücke geschenkt bekam. Viele sind mit handschriftlichen Widmungen versehen, in denen Torrès als persönlicher Freund angesprochen wird.

Der größere Teil der jetzt identifizierten Bücher wurde ab 1960 von der Zentralstelle für wissenschaftliche Altbestände (ZwA) an verschiedene Bibliotheken verteilt: Die zehn Exemplare aus der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden wurden in den Jahren 1979 bis 1982 über die ZwA erworben.

Die restituierten Werke der SLUB Dresden

  1. Jouve, Jean-Pierre: Toscanes. Florence, 1921.
  2. Brion, Marcel: Frédégonde et Brunehaut. Paris, 1935.
  3. Cassou, Jean: Pour la poésie, Paris, 1935.
  4. Desnos, Robert: Corps et biens. Paris, 1930.
  5. Carco, Francis: L ' homme de minuit. Roman. Paris, 1938.
  6. Benoit, Pierre: Monsieur de la ferté. Roman. Paris, 1934.
  7. Boileau, Pierre: La Promenade de minuit. André Brunel, Policier. Roman policier. Paris, 1934.
  8. Vidal, Georges: Han Ryner: l'homme et l'oeuvre. Paris, 1924 (Collection des éscrits subversifs, 4).
  9. Cendrars, Blaise: Histoires vraies. Paris, 1938.
  10. Salacrou, Armand: Théatre: la terre est rond. Paris, 1938.

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