Versöhnung statt Strafe
20.01.2022, 13:14 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)
Täter-Opfer-Ausgleich im Freistaat Sachsen soll verstärkt genutzt werden
Der Täter-Opfer-Ausgleich (TAO) soll in Sachsen häufiger angewendet werden. Dafür lässt das Sächsische Ministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung die bisherige Anwendungspraxis des TAO wissenschaftlich evaluieren. Im Rahmen eines virtuellen Runden-Tisches tauschten sich die Teilnehmenden am Mittwoch, dem 19. Januar, über die Herausforderungen der Anwendung des Instrumentes in staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren aus. An dem Gespräch haben Justizstaatssekretär Mathias Weilandt, Vertreterinnen und Vertreter der Staatsanwaltschaften, der Generalstaatsanwaltschaft, der Sozialen Dienste der Justiz, der Landesarbeitsgemeinschaft TOA in Sachsen sowie der Polizei und der Strafverteidigung teilgenommen. Die Sitzung bildete den Auftakt für ein vom SMJusDEG gefördertes Forschungsprojekt. Im Auftrag des Zentrums für kriminologische Forschung Sachsen e.V. (ZKFS) untersucht ein Team um Kriminologin Prof. Dr. Elisa Marie Hoven von der Universität Leipzig den Ist-Stand des derzeit angewendeten Täter-Opfer-Ausgleichs und formuliert Handlungsempfehlungen für einen noch effektiveren Einsatz des Instrumentes. Die Weiterentwicklung und Stärkung des Täter-Opfer-Ausgleichs ist zudem ein wichtiges kriminalpolitisches Anliegen der sächsischen Koalitionäre.
Staatssekretär Mathias Weilandt: »Die kriminologische Forschung hat längst festgestellt, dass für Kriminalitätsopfer Bestrafung und Vergeltung nicht das erste Ziel des Strafverfahrens sind. Vielmehr wissen wir, dass eine aktive Beteiligung von Täter und Opfer an der Aufarbeitung der Tat das Vertrauen in die Rechtsordnung wiederherstellen kann und die Grundlage bietet, das begangene Unrecht wiedergutzumachen. Eine produktive Wiedergutmachung durch den Täter fördert zugleich Prävention und Resozialisierung.«
Bei der Anwendung des Täter-Opfer-Ausgleichs war Sachsen im Bundesvergleich bisher Schlusslicht: im Jahr 2017 wurde das Instrument in 381 entsprechenden Verfahren und im Jahr 2018 in insgesamt 336 Fällen angewendet. Statistische Angaben für die Folgejahre liegen bislang nicht vor. Der Koalitionsvertrag für Sachsen 2019-2024 sieht die Weiterentwicklung und Stärkung des Täter-Opfer-Ausgleichs vor. Auch der Koalitionsvertrag des Bundes sieht eine Überarbeitung des strafrechtlichen Sanktionensystems mit dem Ziel der Prävention und Resozialisierung vor.
»Wir wollen dem Täter-Opfer-Ausgleich in Sachsen einen neuen Stellenwert geben. Die einvernehmliche Konfliktbewältigung zwischen Opfern und Tätern soll und kann ein wirkungsvolles Instrument im Ermittlungsverfahren sein. Ich freue mich deswegen sehr, dass heute im Rahmen des Runden Tisches die Möglichkeiten der verstärkten Anwendung des Täter-Opfer-Ausgleichs in Sachsen diskutiert wurden. Mit dem Projekt von Frau Professorin Hoven werden wichtige neue Impulse für den Täter-Opfer-Ausgleich in Sachsen gesetzt werden«, so Mathias Weilandt weiter.
Das Forschungsprojekt zum Täter-Opfer-Ausgleich wird durch Frau Prof. Dr. Elisa Hoven von der Juristenfakultät der Universität Leipzig durchgeführt. Die finanziellen Mittel hierfür wurden durch den Sächsischen Landtag im Rahmen des Doppelhaushalts 2021/2022 zur Verfügung gestellt.
Prof. Dr. Elisa Hoven: »Der Täter-Opfer-Ausgleich ist ein wichtiges Instrument im Strafverfahren – für die Betroffenen und für die Justiz. Wir möchten herausfinden, weshalb der TOA nicht häufiger zum Einsatz kommt und was wir verbessern können, um ihn für alle Beteiligten attraktiver zu machen.«
Gesprächsthemen des ersten Runden-Tisches waren die bisherigen praktischen Erfahrungen bei der Anwendung des TOA. Auch die Zusammenarbeit zwischen der Justiz und der Polizei und Verbesserungsvorschläge waren Thema. Die Erkenntnisse des Runden Tisches sollen Grundlage für eine anonyme Online-Befragung von Staatsanwältinnen und Staatsanwälten in Sachsen sein. Flankiert wird die Fragebogenuntersuchung durch qualitative, leitfadengestützte Interviews mit Fachleuten und eine Auswertung von Verfahrensakten. Das gesamte Verfahren wird durch die Projektleiterin Prof. Dr. Elisa Hoven durchgehend wissenschaftlich begleitet und beobachtet.
Die auf Basis der erlangten Erkenntnisse erarbeiteten Lösungsvorschläge sollen sodann im Rahmen eines zweiten Runden-Tisches besprochen werden. Die Vorlage des Abschlussberichts ist für Ende 2022 vorgesehen.
Zum Hintergrund:
Nach § 153 Absatz 1 Nummer 5 der Strafprozessordnung können die Staatsanwaltschaften in geeigneten Fällen von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und der beschuldigten Person die Auflage erteilen, sich innerhalb einer bestimmten Frist ernsthaft zu bemühen, einen Ausgleich mit der durch die Straftat verletzten Person zu erreichen und dabei ihre Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wieder gut zu machen oder deren Wiedergutmachung zu erstreben. Nach § 153 Absatz 2 der Strafprozessordnung kann nach der Erhebung der Anklage durch das Gericht unter den gleichen Voraussetzungen das Strafverfahren vorläufig eingestellt werden. Die Staatsanwaltschaft und das Gericht sollen in jedem Stadium des Verfahrens die Möglichkeiten prüfen, einen Ausgleich zwischen der beschuldigten und der verletzten Person zu erreichen. Gegen den ausdrücklichen Willen der verletzten Person ist ein solches Vorgehen allerdings nicht möglich.
Kernelement des Täter-Opfer-Ausgleich ist die Durchführung eines Ausgleichsgespräches unter Anwesenheit eines neutralen Schlichters. Am Ende dieses Gespräches steht der Abschluss einer Ausgleichsvereinbarung. Diese kann von einer formlosen Entschuldigung, bspw. nach einer Beleidigung, bis zu umfangreichen Regelungen über Schadensersatz, Schmerzensgeld oder Rentenzahlungen reichen. Bei jugendlichen Tätern und Täterinnen wird der Täter-Opfer-Ausgleich teils durch freie Träger und teils durch die Jugendgerichtshilfe organisiert.