Studie: Psychische Gesundheit von 10- bis 16-jährigen Schülerinnen und Schülern in der Corona-Pandemie im Fokus
28.02.2023, 13:20 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)
Bereits Vielzahl von Unterstützungsmaßnahmen durch den Freistaat
Der Anteil der psychisch kranken Kinder und Jugendlichen in Sachsen hat sich im Vergleich von vor der Pandemie und während der Pandemie nicht wesentlich erhöht. Sichtbar wurde jedoch ein Unterschied zwischen den Geschlechtern und Diagnosen vor allem bei den Mädchen. Dies sind die wesentlichen Ergebnisse der »Studie zur psychischen Gesundheit von sächsischen Schülern im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie«, die Ende 2021 vom Sozialministerium in Auftrag gegeben wurde. Diese Ergebnisse decken sich mit anderen nationalen und internationalen Studien.
Die vom IGES-Institut durchgeführte Studie konzentrierte sich auf Kinder und Jugendliche im Alter von 10 bis 16 Jahren. Es standen psychisch kranke Kinder, die behandelt wurden, im Fokus – es handelt sich nicht um eine Vollerhebung der psychischen Situation aller sächsischen Kinder und Jugendlichen. Ausgewertet wurden alle in Sachsen bei den gesetzlichen Krankenkassen durch Ärzte oder Psychotherapeuten zwischen Anfang 2018 und Ende 2021 eingereichten anonymisierten Diagnosen. Zudem wurden 33 Experteninterviews durchgeführt und die gesamten Studienergebnisse durch eine Fokusgruppe bewertet. Die Experten berichteten, dass ihre Kapazität auch schon vor der Pandemie ausgelastet war, Anfragen zugenommen und sie eher kränkere Kinder behandelt haben.
Bei der Inzidenz, also dem Zugang von Neu-Erkrankten, zeigt sich eine Veränderung vor und während der Pandemie. In den Quartalen nach Pandemiebeginn ist die Inzidenz bei allen Mädchen von durchschnittlich 3,1 Prozent auf 3,3 Prozent angestiegen und bei Jungen von 2,9 Prozent auf 2,8 Prozent gefallen. Das heißt insgesamt 7 Prozent mehr Mädchen wurden neu mit einer psychischen Erkrankung diagnostiziert. Besonders auffällig ist die Altersgruppe der 15- bis 16-jährigen Mädchen. Hier ist die Inzidenz psychischer Erkrankungen insgesamt um 9 Prozent (von 3,8 Prozent auf 4,1 Prozent) gestiegen.
Bei genauerer Betrachtung ist erkennbar, dass es zu einer Verschiebung von Diagnosen kam. In engem zeitlichen Zusammenhang zur Pandemie stieg die Prävalenz, also der Anteil Erkrankter an der Gruppe aller 10- bis 16-Jährigen bei Depressionen, Angststörungen und Essstörungen - vor allem bei den Mädchen - an. Bei den Jungen zeigten sich keine merklichen Veränderungen. Verglichen wird immer der durchschnittliche Wert in den Quartalen vor der Pandemie mit dem durchschnittlichen Wert während der Pandemie.
Vor Beginn der Pandemie lag die Prävalenz der depressiven Episode bei Mädchen beispielsweise bei 1,0 Prozent. Nach Beginn der Pandemie nahm die Prävalenz bei Mädchen um 18 Prozent auf durchschnittlich 1,2 Prozent zu. In absoluten Zahlen entspricht dies etwa 230 zusätzlichen Mädchen mit der Diagnose. Die Prävalenz der Essstörungen bei Mädchen stieg seit Pandemiebeginn von 0,5 Prozent auf 0,6 Prozent, was einem Anstieg um 20 Prozent entspricht. Dies entspricht etwa 130 zusätzlichen Mädchen mit der Diagnose.
Bei anderen psychischen Erkrankungen zeigt sich wiederum ein Rückgang. Dies betrifft z. B. die Hyperkinetischen Störungen (z. B. Aufmerksamkeitsstörungen) vor allem in der Altersklasse der 10 bis 11-jährigen Jungen. Vor der Pandemie wurde bei 7,6 Prozent aller Jungen eine hyperkinetische Störung diagnostiziert und während der Pandemie nur bei 6,9 Prozent. Möglicherweise steht der Rückgang im Zusammenhang mit den Schulschließungen bzw. Wechselunterricht, da diese Erkrankungen häufig im Schulkontext erkannt und dann diagnostiziert werden.
Die Experten berichteten, dass der Schweregrad der Erkrankungen zugenommen hat und betonten die Bedeutung der Prävention und niedrigschwelliger Maßnahmen, vor allem im schulischen Bereich.
Gesundheitsministerin Petra Köpping: »Corona hat ohne Frage Kindern und Jugendlichen viel abverlangt, nicht nur in Sachsen. Sie haben dabei aber auch viel Verantwortung übernommen. Sie haben durch ihren Beitrag die Gesundheit und das Leben anderer geschützt. Das war nie einfach. Unsere Schutzmaßnahmen haben wir im Kabinett auf Grundlage des aktuellen Wissensstandes getroffen und auch schnellstmöglich gerade auch für Kinder und Jugendliche gelockert. Wir haben gesehen, dass die Maßnahmen auch soziale Folgen haben. Uns war es deswegen wichtig, dass wir uns frühzeitig mit den psychischen Auswirkungen auf unsere Kinder beschäftigen und entsprechend handeln. Die Studie wirft ein Licht auf die erkrankten Kinder. Und diese müssen wir besonders in den Fokus nehmen. Kein Kind darf vergessen werden. Hinter jeder Zahl, jeder Diagnose, steckt ein Schicksal, eine betroffene Familie, eine betroffene Schulklasse. Um Kinder und Jugendliche zu unterstützen, haben wir bereits eine Vielzahl von Maßnahmen und Hilfen auf den Weg gebracht. Dazu zählen zum Beispiel mehr Schulsozialarbeiter, die sächsischen Programme zur Stärkung der psychischen Gesundheit, das Programm »Aufholen nach Corona« oder Hilfen für die (Re-) Aktivierung der Jugendarbeit. Die psychische Gesundheit unserer Kinder und Jugendliche zu erhalten ist Auftrag an uns alle. Daher werden wir uns dem bundesweiten »Bündnis für die junge Generation« anschließen. Wir wollen gemeinsam mit den Akteuren dazu beitragen, dass unsere Kinder und Jugendlichen gesund und sicher aufwachsen. Sie sollen auch den Raum bekommen, an dem Bündnis mitzuwirken.«
Zu der Vielzahl von Maßnahmen des Sozialministeriums gehören u.a.:
• Aufstockung der Mittel für Schulsozialarbeit in diesem Jahr um 3,5 Millionen Euro, im kommenden Jahr nochmal zusätzlich um weitere 1,2 Millionen Euro. Insgesamt sind im aktuellen Doppelhaushalt 73,2 Millionen Euro dafür vorgesehen.
• Aktionsprogramm »Aufholen nach Corona«: An die auf Landesebene tätigen Träger der freien Jugendhilfe wurden rund 4,6 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, u. a. für Projekte, für Digitalisierung und Investitionen oder für Kinder- und Jugenderholung
• Projekt zur (Re-) Aktivierung der Jugendarbeit auf örtlicher Ebene (»RE:Start«).
• Mobile Ausstellung »Glück sucht Dich«: Aktive Auseinandersetzung von Kindern und Jugendlichen zu den Themen Glück und Sucht, um verantwortungsvoll mit Suchtmitteln oder süchtig machenden Verhaltensweisen umzugehen
• Landesprogramm Suizidprävention: Programm für Schüler, Lehrer und anderes Fachpersonal, seit 2021 vom Sozialministerium mit jährlich 500.000 Euro gefördert. Das Programm soll auf weitere Regionen ausgeweitet werden.
• Förderung des Beratungszentrums Ess-Störungen in Leipzig mit jährlich 170.000 Euro.
• Berufung der Kinder- und Jugendbeauftragten der Staatsregierung, Susann Rüthrich, als Fürsprecherin für junge Menschen.
Kultusminister Christian Piwarz: »Drei Jahre nach Ausbruch der Corona-Pandemie wissen wir: Die Schulen waren viel zu lang geschlossen. Schulen und Kitas waren eben nicht Treiber der Pandemie, wie oftmals behauptet wurde. Kinder und Jugendliche wurden zu lange in ihrer persönlichen und schulischen Entwicklung zum Schutz der Alten und vulnerablen Gruppen eingeschränkt. Das bedaure ich sehr. Wir sollten aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Gerade die Pandemie hat gezeigt, welch bedeutende soziale Rolle Schule im Leben von Kindern und Jugendlichen spielt. Das Recht der Kinder und Jugendlichen auf Bildung und soziale Teilhabe muss auch in Zeiten einer Pandemie in den Abwägungsprozessen mehr Gewicht bekommen. Die Schließungen von Kitas und Schulen hatte Folgen für die seelische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen, die für mich gravierender sind als entstandene Bildungslücken. Bildungsdefizite lassen sich aufholen. Das ist bei den psychosozialen Folgen ungleich schwerer möglich. Deshalb waren wir immer bemüht, trotz erheblicher Widerstände, die Schulen und Kitas so schnell wie möglich wieder zu öffnen«, so Kultusminister Christian Piwarz.
Der Kultusminister verwies darauf, dass präventive Maßnahmen an den Schulen ausgebaut werden, um die Früherkennung von psychischen Problemlagen bei Schülern und das allgemeine Bewusstsein für die psychische Gesundheit zu stärken. So wird die Zahl der Schulpsychologen von derzeit 58 auf 109 fast verdoppelt. Im Rahmen der Ganztagsangebote und dem Corona-Aufholprogramm werden den Schülerinnen und Schüler Angebote zur Förderung ihrer Resilienz gemacht. Dahinter verbergen sich Programme zur Stressverarbeitung und zum Sozialtraining ebenso wie klassische Nachhilfe, Kunst-, Tanz-, Theater- und Sportangebote, um psychosoziale Belastungen abzubauen und die seelische Gesundheit zu stärken. Zudem sollen alle regionalen Akteure in der Präventionsarbeit als »Prävention im Team« vernetzt werden.
Hintergrund
Die gesamte Studie finden Sie hier: