Unbegleitete minderjährige Geflüchtete: Sozialministerium, Städte- und Gemeindetag sowie Landkreistag richten gemeinsam Forderungen an den Bund

12.10.2023, 14:33 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)

Seit Sommer 2022 ist Sachsen mit einem verstärkten Aufkommen an unbegleitet eingereisten minderjährigen Ausländern (umA) konfrontiert, die in der sächsischen Kinder- und Jugendhilfe untergebracht, versorgt und betreut sowie in angrenzende Systeme (Schule, Ausbildung, Arbeitsmarkt) und die Gesellschaft integriert werden müssen. Dies sorgt für eine sich zuspitzende Situation sowohl bei den örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe, als auch bei den freien Trägern der sächsischen Kinder- und Jugendhilfe.

Von Januar bis Ende September 2023 sind in Sachsen 1959 umA durch die Jugendämter vorläufig in Obhut genommen worden. Im gleichen Zeitraum wurde in 958 Fällen Korrektur gemeldet (z.B. durch Weiterzug) - damit ist ein Bestandsaufwuchs in Höhe von 1002 jugendhilferechtlichen Zuständigkeiten für umA in Sachsen zu verzeichnen. Somit sind bis Ende der 39. Kalenderwoche die Erstaufnahmen im Vergleich zum Vorjahreszeitpunkt um 82,1 Prozent, der Bestandsaufwuchs um 57,3 Prozent angestiegen.

Sozialministerium, der Sächsische Städte- und Gemeindetag (SSG) sowie der Sächsische Landkreistag (SLKT) richten sich nun mit einen dreistufigen Forderungs- und Prüfungskatalog an die Bundesregierung, um die kommunalen Hilfsstrukturen zu entlasten. Gleichwohl bleibt das Kindeswohl berücksichtigt.

Staatsministerin Köpping: »Wir verstehen die Sorgen der Kommunen und befinden uns mit den Verantwortlichen in enger Abstimmung. Klar ist, dass die Aufnahme der unbegleitet eingereisten minderjährigen Ausländer für Sachsen eine riesige Aufgabe bedeutet. Es sind Verbesserungen nötig und wir müssen gemeinsam klären, wie wir diese umsetzen können. Mit zwei Erlassen 2022 und in diesem Herbst haben wir die kommunale Ebene bereits bestmöglich unterstützt und Standardabweichungen erlaubt. Wir fordern nun vom Bund, dass er den Aufbau und den Betrieb kommunaler Infrastruktur für vorläufige Schutzmaßnahmen bei unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten vollumfänglich finanziert. Diese Vorhaltekosten sollen Einrichtungen und Personal dauerhaft finanzieren, dies gibt Stabilität und Planungssicherheit. Niemandem ist mit einem ständigen Auf und Ab bei Schließung und Öffnung von Einrichtungen geholfen. Die Kapazitäten sollen flexibel nutzbar sein und allen Kindern und Jugendlichen zugutekommen.«

Zudem fordern Sozialministerium, SSG und SLKT die Bundesregierung auf, die Möglichkeit einer regelhaften Unterbringung von männlichen unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten ab 16 Jahren auch in Erstaufnahmeeinrichtungen zu prüfen. Sie sollen dort in separaten Bereichen und mit Betreuung untergebracht werden können. Bisher werden sie in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe untergebracht. Im Einzelfall ist eine Unterbringung von umA in Gemeinschaftsunterkünften bereits jetzt möglich.

Weiter wird die Bundesregierung aufgefordert, auf Bitten der kommunalen Ebene zu prüfen, inwieweit sachliche Zuständigkeiten der Betriebserlaubnis – so beispielsweise die maximal zulässige Gruppengröße oder der Betreuungsschlüssel – zeitlich befristet vom Landesjugendamt an die örtlichen Träger der Jugendhilfe übertragen werden können. Das soll die kommunalen Jugendämter in die Lage versetzen, dem dynamischen Zuzugsgeschehen bei der Unterbringung vor Ort schneller entsprechen zu können, ohne jeweils die zuständige Landesbehörde mit einem Prüfauftrag zu adressieren. Von der Übertragung der Zuständigkeit auf die örtliche Ebene unberührt bleibt der gesetzliche Auftrag, die Aufgaben zum Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen wahrzunehmen.

Dem Sozialministerium ist wichtig zu betonen, dass diese Ausnahmen aufgrund der derzeitigen Lage geprüft werden sollen. Damit soll dem Wunsch der Kommunen entgegengekommen werden. Die Absenkung von Standards wird verständlicherweise von den Trägern der Jugendhilfe kritisch gesehen. Daher bleibt es bei Prüfaufträgen, die an den Bund gerichtet werden.

Der Präsident des Sächsischen Städte- und Gemeindetages (SSG), Oberbürger¬meister Bert Wendsche, macht deutlich, dass unbegleitete minderjährige Ausländer eines besonderen Schutzes bedürfen und gut integriert werden müssen. »Bei den derzeitigen Zugangszahlen ist das in den Kommunen nicht mehr zu schaffen. Die sächsischen Städte und Gemeinden fordern daher vom Bund nicht nur die rasche Umsetzung der genannten Vorschläge, sondern vor allem wirksame Maßnahmen zur Senkung der Zugangszahlen. Geld allein löst unsere Probleme nicht mehr«, betont Wendsche weiter.

Landrat Henry Graichen, Präsident des Sächsischen Landkreistages (SLKT): »Die Jugendämter arbeiten seit Monaten am Limit und benötigen dringend Entlastung. Wir wissen, dass wir mit dem Forderungskatalog der sächsischen Landkreise lediglich die Symptome behandeln. Der Bund muss jedoch die Ursachen beseitigen. Daher benötigen wir auch bei den unbegleiteten minderjährigen Ausländern eine deutliche Begrenzung der Zuwanderung und eine spürbare Erleichterung bei den Standards in der Unterbringung.«

Hartmut Mann, stellvertretender Vorsitzender des Landesjugendhilfeausschusses: »Die Jugendhilfe vor Ort steht gegenwärtig vor Herausforderungen bei der Aufnahme und Betreuung von geflüchteten jungen Menschen, die sie an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bringt. Wir müssen unterstützende Lösungen abwägen und entwickeln, die unserem gesetzlichen Auftrag für den Schutz und das Wohl der Kinder und Jugendlichen in dieser Situation so weit wie möglich entsprechen. Die Aufsicht über Jugendhilfeeinrichtungen auf die örtliche Ebene zu übertragen, ist riskant und muss daher besonders sorgfältig abgewogen werden.«

Staatsministerin Köpping abschließend: »Die kommunalen Jugendämter leisten bei der herausfordernden Betreuung der umA, die besonders schutzbedürftig sind, unglaublich viel. Für dieses außerordentliche Engagement – auch der Träger der Jugendhilfe - möchte ich mich herzlich bedanken. Es ist im Interesse von uns allen, dass sie auch mit unserem Landesjugendamt weiterhin gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Auch das Landesjugendamt ist hier hoch engagiert und leistet Außerordentliches. Daher werden wir uns bei einem gemeinsamen Termin in Kürze nochmals abstimmen, wie wir die Herausforderungen am besten gemeinsam meistern.«


Kontakt

Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt

Pressesprecherin Juliane Morgenroth
Telefon: +49 351 564 55055
Telefax: +49 351 564 55060
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