Verwaltungsgericht setzt erneut Meldepflicht für Klimakleber außer Kraft
22.08.2024, 14:44 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)
Mitglieder der "Letzten Generation" müssen sich vorläufig nicht täglich bei der Polizei melden
Mit Beschlüssen vom heutigen Tag hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die gegen zwei Antragsteller verhängten Meldeauflagen außer Vollzug gesetzt.
Die Antragsteller sind aktive Mitglieder des Klimaschutzbündnisses »Letzte Generation", welches seit Anfang 2022 durch Protestaktionen auf die Klimakrise aufmerksam macht. Zu den Aktionsformen des Bündnisses zählen vor allem Sitzblockaden sowie das Ankleben auf stark frequentierten Straßen und Flughäfen mittels Sekundenkleber und anderen Stoffen. In einer Pressemitteilung vom Januar 2024 verkündete das Bündnis seine »Strategie für 2024« und kündigte darin unter anderem an, es werde »verstärkt Orte der fossilen Zerstörung für unseren Protest aufsuchen, so wie es in der Vergangenheit schon bei Protesten an Öl-Pipelines, Flughäfen oder dem Betriebsgelände von RWE der Fall war«. Laut Angaben des Bundeskriminalamtes wurden dem Bündnis zwischen Januar 2022 und März 2024 im Zusammenhang mit der Durchführung einzelner Aktionen in Deutschland insgesamt 1.761 Straftaten zugerechnet – überwiegend im Bereich der Sachbeschädigung mit 1.096 Delikten, gefolgt von 650 Taten im Bereich der Nötigung/Bedrohung. Gegen die beiden Antragsteller wurden bundesweit eine Vielzahl von Ermittlungsverfahren, unter anderem auch im Zusammenhang mit Aktionen auf deutschen Flughäfen, wegen Nötigung gemäß § 240 Strafgesetzbuch - StGB -, Sachbeschädigung gemäß § 303 StGB und wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr gemäß § 315 StGB eingeleitet. Zuletzt sollen sie am 1. August 2024 widerrechtlich auf das Gelände des Flughafens Halle/Leipzig eingedrungen sein und sich dort mittels eines Sekundenkleber-Sand-Gemischs auf der Rollbahn festgeklebt haben.
Nach einer Anhörung der Antragsteller ordnete die Polizeidirektion Sachsen mit den angegriffenen, sofort vollziehbaren Bescheiden vom 9. August 2024 gestützt auf § 20 Abs. 1 Sächsisches Polizeivollzugsdienstgesetz - SächsPVDG - an, dass diese sich im Zeitraum zwischen dem 12. August und 11. September 2024 täglich um 8:00 und 17:00 Uhr beim Polizeirevier Leipzig-Zentrum zu melden haben. Weiter wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,- EUR angedroht, sollten die Antragsteller der Meldeauflage nicht oder nicht fristgerecht nachkommen.
Den Anträgen auf vorläufige Außervollzugsetzung der Bescheide hat das Gericht mit Beschlüssen vom heutigen Tage entsprochen (3 L 485/24 und 3 L 486/24).
Nach den Gründen der Beschlüsse bildet die Rechtsgrundlage für die Anordnung der Meldepflicht § 20 Abs. 1 Satz 1 SächsPVDG. Danach kann die Polizei gegenüber einer Person zum Zwecke der Verhütung von Straftaten anordnen, sich an bestimmten Tagen zu bestimmten Zeiten bei der näher zu bestimmenden Dienststelle zu melden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie im Zusammenhang mit einem zeitlich oder örtlich begrenzten Geschehen innerhalb absehbarer Zeit eine ihrer Art nach konkretisierte Straftat begehen wird. Durch diese Vorstellungspflichten soll abgesichert werden, dass der oder die Betroffene einen gewissen Aktionsradius nicht überschreiten kann. Ziel der Maßnahme ist es, den Betroffenen für einen konkreten Zeitraum von einem bestimmten Ort zur Verhinderung von Straftaten fernzuhalten.
Diese Voraussetzungen lägen im konkreten Fall nicht vor. Die vom Antragsgegner angestellte Prognose, die Antragsteller würden erneut Straftaten begehen, lasse schon keinen hinreichenden Zusammenhang mit einem zeitlich und örtlich begrenzten Geschehen erkennen. Die Meldeauflage habe sich in den vergangenen Jahren als gefahrenabwehrrechtliche Maßnahme, insbesondere im Vorfeld von Großveranstaltungen, etabliert. Sie knüpfe an ein örtlich und insbesondere zeitlich eingrenzbares Geschehen, etwa eine Sportveranstaltung, an. Die Aktionen des Bündnisses, dem die Antragsteller angehörten, seien aber weder zeitlich, noch örtlich eingrenzbar, sondern fänden in ganz Deutschland und international ohne bestimmte Anknüpfung an ein konkretes Ereignis oder einen zeitlichen Zusammenhang und in der Regel ohne Vorankündigung statt. Das maßgebliche Anknüpfen des Antragsgegners an die von dem Aktionsbündnis 2024 angekündigte verstärkte Protestwelle an Orten der fossilen Zerstörung, etwa durch »weltweit koordinierte Flughafenproteste« reiche nicht aus, den notwendigen Zusammenhang herzustellen. Konkrete Aktionen im Geltungszeitraum der Meldeauflage seien ebenfalls nicht bekannt, sodass es auch an der Erwartbarkeit von Straftaten fehle.
Unabhängig hiervon erweise sich die Meldeauflage aber auch als unverhältnismäßig. Sie sei schon ungeeignet, die Antragsteller von der künftigen Teilnahme an Aktionen abzuhalten, da die verbleibenden Zeitfenster zwischen den Meldeterminen, insbesondere für Aktionen in Leipzig, ausreichten. Darüber hinaus sei sie auch nicht angemessen. Der Eingriff in die Rechte der Antragsteller erscheine schwerwiegend. Die Antragsteller seien gezwungen, sich für die Dauer eines Monats zweimal täglich zu bestimmten, festgelegten Zeiten an einem bestimmten Ort einzufinden. Da damit eine freie Bewegung im Bundesgebiet faktisch unmöglich sei, jedenfalls nachhaltig erschwert werde, liege ein Eingriff in das Grundrecht auf Freizügigkeit nach Art. 11 Abs. 1 Grundgesetz - GG - vor. Soweit es dem Antragsgegner darum gehe, die Teilnahme der Antragsteller an Veranstaltungen des Bündnisses gänzlich zu unterbinden, sei zudem der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG (Versammlungsfreiheit) betroffen. Diesen schwerwiegenden Grundrechtseingriffen stünden keine gleichermaßen gewichtigen Gefahren für Rechtsgüter gegenüber, die eine Meldeauflage rechtfertigten. Auch wenn der Rechtsstaat die den Antragstellern zur Last gelegten Straftaten keineswegs aufgrund vermeintlich höherrangiger Ziele der Aktivisten hinnehmen müsse, sei gleichwohl festzustellen, dass es sich bei den vom Antragsgegner befürchteten Flughafenaktionen nicht um solche handele, bei denen gezielt besonders schutzwürdige Rechtsgüter Dritter (Leben, körperliche Unversehrtheit, Freizügigkeit) beeinträchtigt würden.
Das Gericht bestätigt mit diesen Entscheidungen seine frühere Rechtsprechung zu Meldeauflagen gegenüber Mitgliedern des Bündnisses »Letzte Generation«. In einem vergleichbaren Fall hatte es bereits im Beschluss vom 2. Januar 2023 (3 L 723/22) ausgeführt, dass eine Meldeauflage nur in Betracht komme, wenn eine Teilnahme an räumlich und zeitlich konkret absehbaren Aktionen zu befürchten sei.
Gegen die Beschlüsse steht den Beteiligten die Möglichkeit einer Beschwerde zum Sächsischen Oberverwaltungsgericht offen.