Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex Chemnitz: Besuch der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Aydan Özoğuz
30.10.2024, 14:00 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)
Anlässlich des 13. Jahrestages der Selbstenttarnung des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) am 4. November besucht die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Aydan Özoğuz, Chemnitz und Zwickau, um den Opfern des NSU-Komplex zu gedenken.
Gemeinsam mit Staatssekretärin Dr. Gesine Märtens wird sie sich über die vielfältigen sächsischen Projekte zur Aufarbeitung des NSU-Komplexes sowie zur Auseinandersetzung mit rechter Gewalt informieren und mit beteiligten Akteuren und Betroffenen austauschen. Außerdem wird sie das in Chemnitz entstehende Pilotvorhaben für ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex besuchen.
Aydan Özoğuz, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages: »Zum 13. Jahrestag der Entdeckung der NSU-Mordserie gedenke ich in Chemnitz und Zwickau der Opfer dieser rechtsterroristischen Taten. Dieser Tag ist gerade für die Opfer und Hinterbliebenen von großer Bedeutung, da die Zeit der jahrelangen falschen Verdächtigungen gegen sie endete. Ich möchte mich vor Ort über die geschaffenen und geplanten Angebote zur politischen Bildungsarbeit und Erinnerungskultur informieren. Gerade die sich polarisierende Stimmung in unserer Gesellschaft zeigt, wie wichtig zum einen die Aufarbeitung der Morde, aber auch der Blick nach vorn ist. Dafür brauchen wir mehr Räume für offene, demokratische Auseinandersetzungen, wie sie hier in Chemnitz geschaffen werden.«
Katja Meier, Demokratieministerin des Freistaates Sachsen: »Mein tiefes Mitgefühl und meine Solidarität gilt allen Opfern des NSU-Komplexes, deren An- und Zugehörigen. Wir dürfen nie wieder zulassen, dass sich eine mörderische Gruppe wie der NSU zusammenfinden und aus rassistischen Motiven Menschen töten kann. Aber nicht nur das. Wir als Politik und Gesellschaft sind vor allem auch dazu verpflichtet, hinzuschauen und zu verstehen, wie es sein konnte, dass die Täter hier in Sachsen mitten unter uns leben und Unterstützung finden konnten. Und wir müssen aus diesen Fehlern lernen. Unser Pilotvorhaben für ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex und die zahlreichen weiteren Projekte zur Aufarbeitung sind dafür die richtigen Ausgangspunkte. Sie zeigen, dass wir uns dieser Verantwortung für die Zukunft stellen.«
Im Bund wird aktuell ein Gesetz zur Gründung einer öffentlich-rechtlichen Stiftung als Trägerstruktur vorbereitet. Am Standort des Chemnitzer Pilotvorhabens wird sich die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Aydan Özoğuz, über Erkenntnisse aus der Vorbereitungsphase, die Einbindung der Betroffenen und die Bedarfe zur Förderung weiterer dezentraler Standorte wie dem in Sachsen informieren.
Vertreterinnen und Vertreter der für den Aufbau des Pilotvorhabens für ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex verantwortlichen Initiative Offene Gesellschaft e.V., des RAA Sachsen e.V. und des ASA-FF e.V. übergeben ihr anlässlich des Gesprächs einen Zwischenbericht zum Abschluss der Vorbereitungsphase.
Khaldun Al Saadi, Projektleiter bei der Initiative Offene Gesellschaft e.V.: »13 Jahre Selbstenttarnung des so genannten »Nationalsozialistischen Untergrunds« heißt nicht, dass das Engagement dagegen erst vor 13 Jahren begann. Die Betroffenen des NSU-Komplex und gerade die migrantische Zivilgesellschaft haben die Zeichen früh erkannt und auf einen rechtsterroristischen Hintergrund aufmerksam gemacht. Medien und Staat haben das zu lange ignoriert. Das machen wir mit unserer Arbeit sichtbar und möchten zum Austausch darüber anregen.«
Vorgesehen sind weiterhin der Besuch eines Wandbildes im Chemnitzer Fritz-Heckert-Gebiet, welches zum Gedenken an die Mordopfer in Kooperation mit ihren Angehörigen gestaltet wurde, sowie einer Sonderausstellung zur Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex in Zwickau und die Teilnahme an der jährlichen Gedenkveranstaltung am Gedenkort für die Opfer des NSU in Zwickau.
Constance Arndt, Oberbürgermeisterin der Stadt Zwickau: »Mit den Gedenkbäumen in unserem Schwanenteichpark haben wir gemeinsam mit Akteuren der Zivilgesellschaft einen »wachsenden« Ort geschaffen, an dem an die Mordopfer erinnert wird. Die Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex und das Gedenken an die Opfer bleibt jedoch eine dauerhafte Aufgabe. Gefragt sind hier Bund, Länder und Kommunen ebenso wie Institutionen und Zivilgesellschaft. Gerade der politischen Bildung kommt hier eine große Bedeutung zu!«
Von 1998 bis zu ihrer Selbstenttarnung vor 13 Jahren konnte die Gruppe in Chemnitz und Zwickau dank eines Netzwerkes an Unterstützerinnen und Unterstützern ein weitgehend unbehelligtes Leben im Untergrund führen. Als operativer Basis kommt dem Freistaat deshalb eine besondere Verantwortung in der kritischen Aufklärung und gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex zu. Beide Städte bemühen sich vor diesem Hintergrund seit vielen Jahren um ein angemessenes Gedenken und eine in die Zukunft gerichtete Aufklärungs- und Bildungsarbeit zur Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex.
Hintergrund
In Solidarität mit allen Opfern und Betroffenen des NSU-Komplexes, den Opfern und Überlebenden der Bombenanschläge in Köln und Nürnberg, und den Überlebenden der Raubüberfälle in Chemnitz, Zwickau, Stralsund, Arnstadt und Eisenach.
Mit der Selbstenttarnung des NSU am 4. November 2011 in Zwickau begann ein langwieriger, bis heute andauernder Prozess der Aufklärung einer erschütternden rechtsterroristischen Mord- und Gewaltserie in Deutschland. In den Jahren 2000 bis 2007 wurden Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter vom »NSU« ermordet. Von 1998 bis zu seiner Selbstenttarnung vor 13 Jahren, gelang es dem NSU in Sachsen, unter anderem in Chemnitz und Zwickau, unterzutauchen.
Staatliches Versagen führte dazu, dass die Serie an Morden, Bombenanschlägen und Raubüberfällen über Jahre hinweg nicht aufgeklärt und damit auch nicht unterbrochen wurde.
Noch mehr Menschen wurden verletzt und unzählige Angehörige blieben fassungslos und ohne Unterstützung zurück. Ihr Schmerz wurde vergrößert durch haltlose Anschuldigungen und rassistische Ermittlungsarbeit, eine vielfach empathielose mediale Berichterstattung und die gesellschaftliche Ignoranz gegenüber ihren Perspektiven und Erfahrungen.
Das Pilotdokumentationszentrum zum NSU-Komplex ist als interaktives Zentrum konzipiert, das sich der politischen Bildung widmet, Wissen bewahrt und die Forschung fördert. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Zusammenarbeit mit Angehörigen und Betroffenen, die bereits aktiv in den Entwicklungsprozess einbezogen werden.