Gründe für Teilzeit in Sachsen und deren Folgen
27.11.2024, 11:00 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)
»Teilzeit(falle)?! Echte Wahlfreiheit für Lebens- und Arbeitszeitmodelle« – Staatsministerin stellt sächsische Studie zur Situation von Teilzeitbeschäftigten vor
Teilzeit wird als attraktives Arbeitszeitmodell geschätzt. Insbesondere Eltern und Menschen, die Angehörige pflegen, nehmen das Modell in Anspruch. Dennoch wird noch zu wenig über die individuellen Folgewirkungen von Teilzeit nachgedacht.
Die heute vorgestellte Studie »Teilzeit(falle)?! Echte Wahlfreiheit für Lebens- und Arbeitszeitmodelle« untersucht die Beweggründe von Teilzeitbeschäftigten in Sachsen und identifiziert Rahmenbedingungen, die entweder eine Erhöhung der Arbeitszeit unterstützen oder behindern. Die Studie wurde vom Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung (SMJusDEG) in Auftrag gegeben.
Gleichstellungsministerin Katja Meier hat die Studie heute gemeinsam mit der Prognos AG die Studie »Teilzeit(falle)?! Echte Wahlfreiheit für Lebens- und Arbeitszeitmodelle« vorgestellt.
Gleichstellungsministerin Katja Meier: »Teilzeitbeschäftigung als Lebens- und Arbeitszeitmodell hat einen immensen Mehrwert. Das belegt unsere Studie. Zugleich macht sie aber auch deren Schattenseiten deutlich. Auch aufgrund der immer noch bestehenden geschlechtsspezifischen Lohnlücke nehmen eher Frauen familienbedingte Auszeiten und Teilzeitarbeit in Anspruch. Sie übernehmen häufiger unbezahlte Familien- und Pflegearbeit, pendeln seltener zu den gut bezahlten Arbeitsplätzen und nehmen weniger häufig an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung und Personalentwicklung und damit auch am Aufstieg teil. Die Folgen sind weitreichend: Sie erhalten einen geringeren Lohn, haben schlechtere Aufstiegschancen und später weniger Rente. Auch dadurch fehlen ihnen die Mittel und Möglichkeiten für mehr gesellschaftliche und politische Teilhabe. Viele Frauen wollen mehr arbeiten, wie die Studie eindrücklich zeigt. Aktuell hindern sie mangelhafte Rahmenbedingungen daran. Es ist Aufgabe der Politik, diese Rahmenbedingungen zu schaffen und zu verbessern, um an dieser Situation etwas zu ändern. Das ist nicht nur im Sinne jeder Einzelnen, sondern nützt Sachsen als Wirtschaftsstandort insgesamt.«
Die Ende 2023 von SMJusDEG beauftragte Studie stellt eine Umsetzung des Handlungsfeldes 2 – Arbeit und Beschäftigung »Maßnahmenkataloges – Entgeltgleichheit in Sachsen« dar, der im Rahmen des Modellprojektes Entgeltgleichheit im August 2023 entwickelt wurde. Sie kombiniert qualitative und quantitative Methoden, um detaillierte Einblicke in die Motive von Teilzeitbeschäftigten zu erhalten. Zudem wird das zusätzliche Arbeitskräftepotenzial abgeschätzt, das sich aus den Arbeitszeitwünschen der Teilzeitbeschäftigten im aktuellen Status Quo sowie unter veränderten Rahmenbedingungen ergibt. Abschließend liefert die Studie praxisorientierte Handlungsempfehlungen, die zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für eine Erhöhung des Erwerbsumfangs auf politischer und betrieblicher Ebene beitragen sollen.
Die Studie offenbart, dass die Entscheidung für Teilzeitarbeit oft durch ein Zusammenspiel aus mehreren Faktoren beeinflusst wird. Eine ganzheitliche Betrachtung individueller Lebensumstände könnte daher Maßnahmen fördern, die den Bedürfnissen von Teilzeitbeschäftigten gerecht werden und eine Erhöhung der Arbeitszeit erleichtern.
Vermutete geschlechtsspezifische Unterschiede bei den vielfältigen Gründen von Teilzeit haben sich bestätigt. Die Ergebnisse der Datenerhebung zeigen, dass familiäre Verpflichtungen wie Kinderbetreuung und Pflege, für viele Frauen zentrale Gründe sind, eine Teilzeitbeschäftigung zu wählen. Männer geben neben familiären Gründen häufiger auch gesundheitliche Einschränkungen oder Weiterbildungspläne als Gründe an. Ebenso spielen berufliche Rahmenbedingungen eine Rolle: Laut Datenerhebung wird einem Viertel der teilzeitbeschäftigten Frauen und fast einem Drittel der Mütter eine Erhöhung der Arbeitszeit durch Arbeitgebende verwehrt, was als »Teilzeitfalle« beschrieben wird. Jede zehnte Frau nennt dies als Hauptgrund für ihre Teilzeitbeschäftigung.
Insgesamt arbeitet die Mehrheit der Teilzeitbeschäftigten derzeit freiwillig in Teilzeit und ist mit ihrer Arbeitszeit zufrieden. Dennoch möchten über ein Fünftel ihre Arbeitszeit erhöhen, im Durchschnitt um sieben zusätzliche Stunden pro Woche. Diese Bereitschaft ist besonders stark bei denen, die derzeit mit geringem Stundenumfang arbeiten. Die standardisierte Befragung zeigt, dass eine Diskrepanz zwischen der gewünschten und tatsächlich geleisteten Arbeitszeit bei Teilzeitbeschäftigten in Sachsen besteht. Obwohl viele mit ihrer aktuellen Arbeitszeit zufrieden sind, wünschen sich 22 Prozent der Befragten eine Erhöhung.
Im Rahmen eines Fachgesprächs des Modellprojekts Entgeltgleichheit mit Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus Wirtschaft, Wissenschaft, Gewerkschaften, Sozialwirtschaft, Verwaltung und Politik haben die Teilnehmenden auf der Grundlage der Befragungsergebnisse praxisorientierte Handlungsempfehlungen entwickelt. Die Wahl eines bestimmten Teilzeitumfanges solle möglichst nicht länger durch ungünstige äußere Umstände erzwungen werden und die Betroffenen müssen die Möglichkeit haben, die langfristigen Konsequenzen dieser Entscheidung umfassend zu reflektieren. Zudem zielen die Handlungsempfehlungen darauf ab, sowohl geschlechterspezifische Ungleichheiten zu verringern als auch das Arbeitskräftepotential in Sachsen zu erhöhen. Insgesamt benennt die Studie neun Handlungsfelder:
- Handlungsfeld 1: Breite gesellschaftliche Diskussion zur Frage »Was ist alles Arbeit?«
- Handlungsfeld 2: Bessere Öffentlichkeitsarbeit/Informationspolitik über Konsequenzen von Teilzeitarbeit
- Handlungsfeld 3: Abbau staatlicher Fehlanreize durch eine Neugestaltung des Steuersystems/finanzielle Anreize für eine Arbeitszeiterhöhung
- Handlungsfeld 4: Sicherung der Qualität der öffentlichen Kinderbetreuung
- Handlungsfeld 5: Bedarfsgerechte Arbeits(zeit)modelle und gute Vertragsbedingungen
- Handlungsfeld 6: Etablierung einer umfassenden betrieblichen Gesundheitsförderung
- Handlungsfeld 7: Förderung der Weiterbildung und Umschulung
- Handlungsfeld 8: Förderung einer familienfreundlichen Unternehmenskultur
- Handlungsfeld 9: Partnerschaftliche Verantwortung im Umgang mit Teilzeit.
Die Studie zum Download: https://publikationen.sachsen.de/bdb/artikel/46122