Das filmische Gedächtnis Dresdens: Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek und Museen der Stadt Dresden erwerben Film- und Kamerasammlung von Ernst Hirsch
26.03.2025, 17:40 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)
Die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB Dresden) und die Museen der Stadt Dresden – Technische Sammlungen haben die Film- und Kamerasammlung des Dresdner Kameramanns Ernst Hirsch übernommen. Damit ist eine erstrangige Langzeitdokumentation über Dresden mit Aufnahmen von 1903 bis in die 1990er Jahre für die Öffentlichkeit gesichert, wie sie in ihrer Dichte für kaum eine andere deutsche Stadt existiert. Der von Ernst Hirsch zusammengetragene Filmschatz mit über 400 Filmrollen bildet das Fundament für das filmische Gedächtnis der Stadt Dresden mit allen Brüchen und Kontinuitäten ihrer jüngsten Geschichte. Die Sammlung umfasst die letzten bekannten Kopien, die das Leben in der sächsischen Metropole vor 1910 zeigen, sowie Ernst Hirschs eigene versierte Aufnahmen vom mehrfachen Wandel der Stadt nach 1945. In enger Verbindung sowohl mit seinem Schaffen als Kameramann – u. a. für das DDR-Fernsehen, die DEFA und Regisseure wie Peter Schamoni – als auch mit der innovativen Filmtechnikgeschichte der Stadt Dresden steht seine kameratechnische Sammlung. Dazu gehört die erste eigene, aus zwei unterschiedlichen Apparaten zusammengesetzte Filmkamera von Ernst Hirsch ebenso wie mehrere Kamera-Raritäten aus der frühen Produktion der Dresdner Ernemann-Werke.
Annekatrin Klepsch, Bürgermeisterin für Kultur, Wissenschaft und Tourismus, hebt hervor: »Die Übernahme der Film- und Kamerasammlung von Ernst Hirsch durch die SLUB Dresden und die Technischen Sammlungen der Stadt Dresden ist von unschätzbarem Wert für unsere Stadt und ihre Geschichte. Sie bietet einen einzigartigen Einblick in das Leben Dresdens und ist ein unverzichtbarer Teil unseres kulturellen Erbes. Besonders bemerkenswert ist auch die Kamera- und Filmtechnik-Sammlung: Sie spiegelt nicht nur die Innovationskraft Dresdens in der Filmtechnik wider, sondern zeigt mit Hirschs Filmkamera und weiteren Raritäten aus den Dresdner Ernemann-Werken die enge Verbindung zwischen der Stadt und der Entwicklung der Filmkunst. Ich danke Ernst und Konrad Hirsch, der SLUB und den Brüdern Ardenne sowie allen Projektbeteiligten und den Unterstützern, die diesen Erwerb ermöglicht haben.«
Katrin Stump, Generaldirektorin der SLUB Dresden, betont: »Wir freuen uns, dass wir gemeinsam mit der Stadt Dresden die Sammlung Ernst Hirsch in ihrer Gesamtheit bewahren und umfassend zugänglich machen. Mit dem Landesprogramm zur Sicherung des audio-visuellen Erbes in Sachsen (SAVE), das die SLUB Dresden seit 2019 gemeinsam mit dem Filmverband Sachsen koordiniert, bringen wir die dafür nötige Expertise ein. Bereits 2020/2021 konnten wir mehr als 50 unikale Filmrollen von Ernst Hirsch im Rahmen von SAVE digitalisieren und online bereitstellen. Nun kann die gesamte Filmsammlung – Hirschs eigene Aufnahmen ebenso wie die einzigartigen historischen Filmaufnahmen von Dresden, die er über Jahrzehnte zusammentrug – wissenschaftlich erschlossen und digitalisiert werden.«
Der Kameramann Ernst Hirsch erklärt: »Angefangen habe ich damals mit einer großen 35 mm Filmkamera einer Dresdner Firma und war dann fast 70 Jahre lang als Kameramann tätig. Nun habe ich mich entschlossen, meine Techniksammlung abzugeben. Alles soll in Dresden bleiben und in den Technischen Sammlungen aufbewahrt werden, weil auch alles in Dresden produziert worden ist, die früheste Kamera ist von 1903. Mein Filmarchiv historischer Filme, beginnend mit 17,5 mm Filmen von 1905, geht an die SLUB Dresden. Ich bin sehr glücklich über diese Entscheidung und froh, dass die Sammlungsbestände in Dresden verbleiben.«
Ermöglicht wurde die Erwerbung auch dank einer privaten Spende von Thomas und Dr. Alexander von Ardenne. »Seine menschliche Integrität, sein unendlicher Fleiß und seine Begeisterungsfähigkeit haben uns über mehr als 50 Jahre immer wieder angefasst und unsere Freundschaft begründet. Diese Verbindung war und ist uns sehr wertvoll!«, sagt Dr. Alexander von Ardenne über seine Beziehung und die seines Bruders zu Ernst Hirsch.
Chronist der Stadt: Ernst Hirsch als Kameramann
Die Sammlung Ernst Hirsch dokumentiert das umfassende Lebenswerk des 1936 geborenen Dresdner Kameramanns und Regisseurs, der zur ersten Generation von Fernsehreportern gehört. Sie bietet einen tiefen Einblick in die bildsprachlichen Entwicklungen eines Filmemachers in den jeweiligen technischen, bürokratischen und ideologischen Produktionskontexten, die das Filmemachen in der DDR bestimmten. Darunter sind auch bislang unveröffentlichte Aufnahmen.
Nachdem Ernst Hirsch Anfang der 1950er Jahre in einem Laienfilmstudio des Kulturbundes mit dem später renommierten DEFA-Regisseur Herrmann Zschoche Kinderfilme drehte, die in Dresden zwischen Trümmerlandschaft und Wiederaufbau angesiedelt sind, begann er kurz nach deren Gründung für die Aktuelle Kamera zu arbeiten. Von 1954 bis 1968 wirkte Hirsch als erster Filmreporter Dresdens an mehr als 3.000 Nachrichtenbeiträgen mit, zum Beispiel zur Produktion der ersten Fernsehgeräte für den DDR-Markt im Sachsenwerk in Radeberg oder zur Rückkehr der im Krieg abtransportierten Dresdner Kunstschätze aus der Sowjetunion. Die Sammlung enthält auch Aufnahmen des Abrisses der Dresdner Sophienkirche, die Ernst Hirsch verdeckt filmte und die teilweise konfisziert wurden. Sie ermöglichen einen Vergleich der offiziellen mit der inoffiziellen Überlieferung und sind von besonderer Bedeutung für die Dokumentation des Wiederaufbaus Dresdens.
1968 kündigte Hirsch seine Festanstellung beim Deutschen Fernsehfunk und arbeitete fortan als freier Kameramann, um so auch eigene Filmwerke verwirklichen zu können. Eine Filmlizenz von offizieller Stelle blieb ihm jedoch verwehrt. In dieser Zeit fertigte Hirsch – gut vernetzt in der Dresdner Künstlerszene – Künstlerporträts u. a. von Curt Querner und Hermann Glöckner an, die nur teilweise veröffentlicht wurden. Darüber hinaus hielt er in experimentellen Dokumentationen Kunsthappenings fest, die außerhalb des staatlichen Kulturbetriebs der DDR stattfanden.
Hirschs Oeuvre gewann mit seiner Übersiedlung nach München 1989 neue Facetten. Prägend war in dieser Zeit die Zusammenarbeit mit dem bekannten Regisseur Peter Schamoni, z. B. für Künstlerportraits von Max Ernst und Niki de Saint Phalle sowie eine Dokumentation über den letzten deutschen Kaiser Wilhelm II. Nach seiner Rückkehr nach Dresden 1993 nahm die Langzeitdokumentation des Wiederaufbaus der Frauenkirche viel Raum in seinem Schaffen ein. Die mehr als 400 Stunden Videomaterial umfassende Gesamtdokumentation übergab Ernst Hirsch bereits 2008 der SLUB Dresden. Sie ist in der SLUB Mediathek auch online zugänglich.
Ernst Hirsch als Sammler von historischen Filmaufnahmen aus Dresden
Die Sammlung Ernst Hirsch ist darüber hinaus von unschätzbarem Wert, da sie auch unikales historisches Filmmaterial enthält, das Ernst Hirsch durch Schenkungen und Erwerbungen über Jahrzehnte zusammengetragen hat. Schon in den 1960er Jahren machte er sich als Sammler historischer Filmaufnahmen seiner Heimatstadt überregional einen Namen. Die ältesten erhaltenen Bewegtbilder Dresdens in der Sammlung stammen aus dem Jahr 1903. Es handelt sich um kurze Filmsequenzen, die im historischen 17,5 mm-Format mit einer Kino – eine der ersten Amateurfilmkameras, die Heinrich Ernemann 1903 in Dresden produzierte – gedreht wurden und die Stadt im Ausklang der höfischen Tradition unter König Friedrich August III. zeigen. Vom Leben in der Stadt vor 1945 mit besonderen Ereignissen und der architektonischen Kulisse Dresdens wie auch vom privaten Alltag in Familien unterschiedlicher sozialer Couleur zeugen zahlreiche Amateurfilme in der Sammlung. Auch eindringliche Aufnahmen der Zerstörung der Stadt im Februar 1945, die der Kameramann Kurt Moser im März kurz nach dem Bombenangriff drehte, konnte Hirsch ausfindig machen.
Die Sammlung sichtbar machen
Ernst Hirschs Anliegen war es stets, seine Filmzeugnisse einer großen Öffentlichkeit sichtbar zu machen – sei es durch zumeist ausverkaufte Filmveranstaltungen oder DVD-Editionen. Darüber hinaus diente seine Sammlung als Quellen- und Arbeitsmaterial für Künstler und Autoren. Christian Borchert z. B. entnahm den Filmen prägnante Momentaufnahmen und verwendete diese in seinem Bildband »Dresden Flug in die Vergangenheit«. Die Fotonegative sind im Nachlass Christian Borchert in der Deutschen Fotothek an der SLUB überliefert.
Die Filmsammlung von Ernst Hirsch wird in den kommenden Jahren wissenschaftlich erschlossen und digitalisiert, um sie der Forschung und einer breiten Öffentlichkeit online zugänglich zu machen. Die Filmobjekte gehen als Depositum an die Museen der Stadt Dresden und werden künftig in den Technischen Sammlungen bewahrt.
Das Museum konnte gleichzeitig die umfangreiche filmtechnische Sammlung von Ernst Hirsch erwerben. Sie umfasst sowohl Kameras der Dresdner Ernemannwerke aus der Frühzeit der Kinematografie und Meilensteine der internationalen Kameratechnik als auch die Kameras, mit denen Ernst Hirsch seit den frühen 1950er Jahren selber gedreht hat. Stadt- und technikhistorisch besonders wertvoll sind drei Luftbildkameras des Dresdner Fotografen Walter Hahn aus den 1920er Jahren.
Auch ein Forschungsprojekt am Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde (ISGV) ist in Planung. Das Ziel ist, das Schaffen von Ernst Hirsch über eine lange Zeitspanne – und in zwei politischen Systemen – zu beleuchten. Anhand der erinnerungskulturellen Bedeutung seiner Beiträge als filmisches Gedächtnis der Stadt zeigen sich prototypisch Prozesse der Entstehung, Konstruktion und Wandelbarkeit von Stadtbildern und ihren Erzählungen. In Verbindung mit berufsbiografischen Interviews und Dokumentenanalyse lässt sich so neben dem materiellen auch das immaterielle kulturelle Erbe des Filmemachers sichern.
Prof. Dr. Ira Spieker erläutert: »Wir haben hier die einmalige Gelegenheit, dass ein großartiges und kulturhistorisch bedeutsames filmisches Werk nicht nur gesichert, sondern auch kulturpolitisch und arbeitsbiografisch eingeordnet werden kann. Denn durch Interviews mit Ernst Hirsch sowie durch ergänzende Archivrecherchen kann gezeigt werden, wie und wodurch sich Themen und Zugänge verändern, welche Vorgaben und auch Moden Blicke lenken und wie Ernst Hirsch und sein Werk die Wahrnehmung von Dresden bis heute prägen.«
Am 13. Juli 2026 wird Ernst Hirsch 90 Jahre alt. Anlässlich des Jubiläums planen die Technischen Sammlungen eine "'Sonderausstellung''' über Ernst Hirsch und seine Sammlung. Roland Schwarz, Direktor der Technischen Sammlungen, bezeichnet es als »großen Glücksfall, dass sich im Lebenswerk von Ernst Hirsch die professionelle Leidenschaft für den Film und für die Technik mit der Liebe für seine Heimatstadt so wunderbar verbinden. So wird es möglich, mit der Geburtstagsausstellung im kommenden Jahr sowohl das filmische Gedächtnis Dresdens noch einmal neu in den Blick zu nehmen, als auch die Geschichte des Dokumentar- und Amateurfilms im 20. Jahrhundert entlang der Biografie und der einzigartigen Sammlung von Ernst Hirsch zu erzählen.« Die Vorbereitung der Jubiläumsausstellung wird mit einer Spende der Volker-Homann-Stiftung unterstützt.
Ernst Hirsch wurde 2017 mit der Ehrenmedaille der Landeshauptstadt Dresden ausgezeichnet und wurde weiterhin zum Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste berufen.
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Pressesprecherin Annemarie GrohmannTelefon: +49 351 4677 342E-Mail: Annemarie.grohmann@slub-dresden.deThemen
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- [Foto] Die Protagonist:innen der Pressekonferenz am 26.3.2025 (v.l.n.r.): Prof. Dr. Barbara Wiermann, Prof. Dr. Ira Spieker, Roland Schwarz, Ernst Hirsch, Katrin Stump, Annekatrin Klepsch, Dr. Alexander von Ardenne, Thomas von Ardenne.
- [Foto] Roland Schwarz (links) und Ernst Hirsch (rechts) im Gespräch über Leben und Werk zur Pressekonferenz anlässlich der Sammlungsübernahme am 26.3.2025 in der SLUB.
- [Foto] Die frühesten filmischen Zeugnisse über Dresden aus der Sammlung stammen aus dem Jahr 1903.
- [Foto] Einige frühe Aufnahmen aus der Sammlung sind auf Filmen des Dresdner Ernemann-Werkes erhalten.
- [Foto] Sichtung der historischen Filmobjekte im Videolabor der SLUB Dresden.
- [Foto] Still aus einem historischen Film der Sammlung: Dresdner Trümmer und Kinder zum 13. Februar.
- [Foto] Die erste 35 mm-Kamera von Ernst Hirsch
- [Foto] Die Filmsammlung von Ernst Hirsch dokumentiert das umfassende Lebenswerk des 1936 geborenen Dresdner Kameramanns und Regisseurs.
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- Die Protagonist:innen der Pressekonferenz am 26.3.2025 (v.l.n.r.): Prof. Dr. Barbara Wiermann, Prof. Dr. Ira Spieker, Roland Schwarz, Ernst Hirsch, Katrin Stump, Annekatrin Klepsch, Dr. Alexander von Ardenne, Thomas von Ardenne. (JPG; 4 MB)
- Roland Schwarz (links) und Ernst Hirsch (rechts) im Gespräch über Leben und Werk zur Pressekonferenz anlässlich der Sammlungsübernahme am 26.3.2025 in der SLUB. (JPG; 3 MB)
- Die frühesten filmischen Zeugnisse über Dresden aus der Sammlung stammen aus dem Jahr 1903. (JPG; 3 MB)
- Einige frühe Aufnahmen aus der Sammlung sind auf Filmen des Dresdner Ernemann-Werkes erhalten. (JPG; 2 MB)
- Sichtung der historischen Filmobjekte im Videolabor der SLUB Dresden. (JPG; 2 MB)
- Still aus einem historischen Film der Sammlung: Dresdner Trümmer und Kinder zum 13. Februar. (JPG; 200 kB)
- Die erste 35 mm-Kamera von Ernst Hirsch (JPG; 3 MB)
- Die Filmsammlung von Ernst Hirsch dokumentiert das umfassende Lebenswerk des 1936 geborenen Dresdner Kameramanns und Regisseurs. (JPG; 4 MB)
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