Medieninformation: Erstpräsentation eines 3000 Jahre alten Hortfundes aus der Oberlausitz im Beisein des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer
22.08.2025, 12:00 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)
16 kg Schmuck, Waffen und Geräte aus Bronze
Am heutigen Tag präsentierte das Landesamt für Archäologie Sachsen der Presse im Beisein des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer einen 3000 Jahre alten Hortfund aus der Bronzezeit, der in Klein Neundorf bei Görlitz gefunden wurde. Mit über 16 kg Gesamtgewicht und mehr als 300 Objekten handelt es sich um den größten Bronzehort aus der Oberlausitz und um das zweitgrößte Fundensemble dieser Art in ganz Sachsen.
Ministerpräsident Michael Kretschmer: »Wir haben es hier mit einem wahrlich spektakulären Fund zu tun. Es ist ein großes Glück, dass diese Schätze aus der fernen Vergangenheit entdeckt worden sind. Tatsächlich handelt es sich um einen der größten bronzezeitlichen Funde in Sachsen und den größten in der Oberlausitz. Bereits vor 3000 Jahren beherrschten die Menschen in der Region verschiedene Handwerkstechniken und hatten Verbindungen über die Region hinaus. Die vielen wertvollen Fundstücke können uns nun viele weitere Informationen über diese Zeit und das Leben der Menschen geben.«
Kretschmer lobt zudem den Einsatz der ehrenamtlichen Mitarbeiter bei der Nachsuche, ohne den dieser besondere Fund nicht gemacht worden wäre:
»Hier zeigt sich, wie ehrenamtliches Engagement gemeinsam mit der Fachexpertise der sächsischen Landesarchäologie Hand in Hand gehen. Die ehrenamtliche Unterstützung leistet einen wertvollen Beitrag zu unserem Wissen über die frühere Geschichte Sachsens.«
Die Landesarchäologin Regina Smolnik bedankt sich für die umfassende Recherche durch den Direktor der Görlitzer Sammlungen für Geschichte und Kultur, Dr. Jasper von Richthofen, der den Einsatz von ehrenamtlichen Sondengängern und Mitarbeitenden des Landesamtes für Archäologie Sachsen angeregt und begleitet hat. Sie betont den wissenschaftlichen Wert des Neufundes:
»Ein Hortfund kommt nicht jeden Tag vor und stellt uns vor besondere Herausforderungen bei der Restaurierung, der Dokumentation und der Analyse. Umso mehr freuen wir uns über diesen bedeutenden Fundkomplex. Die sorgfältige Untersuchung des im Block geborgenen Befundes und die noch ausstehenden wissenschaftlichen Beurteilungen und Untersuchungen werden uns im Detail und im überregionalen Vergleich weitere Einblicke in den Ritus und die Glaubenswelten, Handwerkstechniken und Handelsbeziehungen der bronzezeitlichen Lausitzer Kultur geben können.«
Hintergrund
Die Fundgeschichte
Im Jahr 1900 fanden Kinder während der Kartoffelernte in Klein Neundorf bei Görlitz drei Bronzedolche. Der Wert der Fundstücke wurde nicht erkannt, und am Tag der Auffindung ging angeblich einer der ursprünglich drei Dolche wieder verloren und wurde auch nicht mehr wiedergefunden. Die zwei überlieferten Fundstücke gelangten als Ankauf im Jahr 1905 in das Görlitzer Museum, wo heute jedoch nur noch ein Dolch vorhanden ist. Der zweite Dolch ist in den Wirren des Zweiten Weltkrieges verloren gegangen.
Da der Vater der Kinder zwei Jahre später im Görlitzer Museum ein bronzezeitliches Tüllenbeil abgab, stand die Vermutung im Raum, dass es sich hier um den ‚dritten Dolch‘ handelt und sich möglicherweise noch weitere Fundstücke im Boden befinden.
Durch einen Katalogbeitrag zu den Dolchfunden angeregt, kam der Direktor der Görlitzer Sammlungen für Geschichte und Kultur, Dr. Jasper von Richthofen, auf die Idee, gemeinsam mit dem Landesamt für Archäologie Sachsen und modernen Metallsuchgeräten eine Nachsuche an der damaligen Fundstelle vorzunehmen.
Die Nachsuche
In zeitgenössischen Niederschriften wird die Fundstelle, die noch heute landwirtschaftlich genutzt wird, gut beschrieben, so dass das fragliche Gebiet enger eingegrenzt werden konnte. Die Nachsuche startete bei heißem Sommerwetter mit mehreren ehrenamtlichen Sondengängern und Fachleuten im August 2023 nördlich der Ortslage von Klein Neundorf auf einem abgesteckten Areal. Die Suche blieb zunächst erfolglos, bis der Sondengänger Henry Herrmann seine Nachforschungen auf den westlichen Rand der eingegrenzten Untersuchungsfläche ausdehnte und dort bronzene Sichelbruchstücke fand. Das übrige Team verlagerte die Nachsuche daraufhin in diesen Bereich und es wurden weitere Fundstücke im Pflughorizont entdeckt. An einer Stelle zeigte sich, dass mehrere Bronzegenstände auch noch »in situ«, also ungestört am ursprünglichen Ort der Deponierung im Boden lagen. Dieser eng beieinander liegende Komplex wurde am nächsten Tag von ausgebildeten Grabungstechnikern des Landesamtes als Block geborgen. Bei dieser Methode wird die Fundstelle mit dem umgebenden Erdreich en bloc - also im Ganzen - geborgen, damit sie dann in der Restaurierungswerkstatt untersucht werden kann. Der Block wurde von September 2023 bis Ende April 2024 im Landesamt für Archäologie Sachsen freigelegt und dokumentiert. Zudem wurden 3D-photogram-
metrische Aufnahmen angefertigt, damit das Ensemble und die einzelnen Fundstücke in ihrer Lage zueinander für weitere wissenschaftliche Analysen jederzeit rekonstruierbar bleibt.
Die Funde
Insgesamt umfasst der Hortfund 310 Buntmetallobjekte, von denen 108 aus dem Pflughorizont und 202 aus der Blockbergung stammen. Das Ensemble setzt sich aus Geräten, Waffen, Schmuck- und Trachtgegenständen, sowie aus Gusskuchen, also Rohmetallbarren, die für die Weiterverarbeitung gedacht waren, zusammen. Den größten Teil des Fundgutes bilden mindestens 136 Sicheln und 50 Beile, aber auch Ringe unterschiedlicher Art und Gusskuchenfragmente sind zahlreich vorhanden. Besonderheiten sind ein in vier Bruchstücke gebrochenes Schwert und eine Fibel vom Typ Spindlersfeld, benannt nach einem Fundort bei Berlin. Von den vier Bruchstellen des Schwertes sind zwei Brüche nachweislich alt, so dass die Waffe in zerbrochenem Zustand deponiert wurde. Setzt man das Schwert zusammen, hat es eine Gesamtlänge von 44 cm, ist also auffallend kurz. Der Knauf bestand aus zwei Blechschalen zwischen denen eine Scheibe aus organischem Material, möglicherweise Knochen oder Elfenbein, angebracht war. Weitere Analysen werden dazu Klarheit bringen. Obwohl das Schwert typologisch ein Einzelstück ist, vermuten Fachleute eine Herkunft aus dem süddeutschen Raum.
Die Deponierung
Die Fundstücke waren in einer bis etwa 50 cm tiefen, rundlichen bis polygonalen Grube von 30 bis 35 cm Durchmesser deponiert. Die Grabungstechniker konnten bei der Bergung des Blockes einen Abdruck in der Grubenwandung erkennen, der Rückschlüsse auf die Form des verwendeten Grabwerkzeugs zulässt. Hinweise auf ein Gefäß oder Behältnis, in dem die Funde untergebracht waren, fanden sich bislang nicht. Die Lage der Objekte deutet darauf hin, dass sie einzeln oder in kleinen Gruppen in die Grube gelegt wurden. Eine nähere Untersuchung der Korrosion, die zum Nachweis einer Ummantelung/Verpackung/Hülle dient, wird noch stattfinden.
Eine offensichtliche Schichtung nach Objektgruppen konnte nicht beobachtet werden, auffällig war jedoch, dass die »besonderen« Funde, wie beispielsweise die Bruchstücke des Schwertes, vor allem am Boden der Grube lagen.
Der wissenschaftliche Wert des Bronzehortes
Die Entdeckung dieses umfangreichen Hortfundes ist aus verschiedenen Gründen ein Glücksfall für die sächsische Landesarchäologie und von unschätzbarem wissenschaftlichem Wert. Während bei Altfunden zumeist nur die Bergung der Objekte im Fokus stand, verspricht der Neufund durch die sorgfältige Untersuchung mit modernsten Methoden neue Erkenntnismöglichkeiten zur Vorgehensweise und Systematik der Deponierung. Mit den ausstehenden naturwissenschaftlichen Analysen der Verfüllung und der Korrosion der Funde erwarten wir Hinweise zum Opferritus, die uns weitere Einblicke in die Kultur der hier vor 3000 Jahren lebenden Menschen bietet.
Ganz allgemein ergänzt der Hortfund aber auch unser Wissen über die ehemals tatsächlich vorhandenen Gebrauchsobjekte der Jungbronzezeit, denn in zeitgleichen Gräbern findet sich so gut wie kein Metall, sondern eine dominierende Ausstattung mit Gefäßen und anderen Keramikobjekten. Das Fehlen von Metallobjekten ist wahrscheinlich dem damals hohen Wert der Bronze geschuldet. Umso mehr wirft diese Niederlegung auch die Frage nach dem »Warum?« auf.
Die Datierung und vorläufige Einordnung
Die Funde datieren an das Ende der Bronzezeit in das 9. Jahrhundert v. Chr. bis in die Zeit um 800 v. Chr. und gehören zum Horizont der ‚Lausitzer Kultur‘. Die Fundobjekte haben Entsprechungen in Süd- und Mitteldeutschland, aber auch in Polen finden sich beispielsweise vergleichbare Nadeln mit den großen Spiralknöpfen. Mit seinen 16 Kilogramm ist der Hortfund der zweitgrößte in ganz Sachsen. Zu einer Zeit, als die Herstellung von Buntmetall nicht nur technisch aufwendig war, sondern auch die Beschaffung der benötigten Rohstoffe, nämlich Zinn und Kupfer anspruchsvoll war, entzieht die Deponierung der Gesellschaft einen gewiss nicht unerheblichen Wert. Deponierungen sind in der späten Bronzezeit – wenn auch nicht in diesen Dimensionen – weit verbreitet, so dass ein zugrunde liegender Ritus wahrscheinlicher erscheint, als das bloße Verbergen von Werten in unsicheren Zeiten.
Wie geht es weiter?
Zunächst werden die gereinigten Objekte weiter restauriert und die Oberflächen fachgerecht freigelegt. Dabei erfolgt zugleich eine Schadenskartierung, bei der zwischen alten und neuen Beschädigungen und Brüchen unterschieden wird. Zugleich werden Hinweise auf Herstellungstechnik und Gebrauchsspuren dokumentiert.
Es ist besonders erfreulich, dass die wissenschaftliche Bearbeitung des Bronzehortes und seine Einordnung in eine bedeutende bronzezeitliche Kulturlandschaft inzwischen das Thema einer wissenschaftlichen Dissertation ist, die an der Ludwig-Maximilians-Universität in München betreut wird.
Der Hortfund soll nach seiner Restaurierung natürlich ausgestellt werden. Zumindest an einer Station kommt er dann auch in seine Heimatregion zurück und wird in einer Sonderausstellung in den Görlitzer Sammlungen für Geschichte und Kultur zu sehen sein. Da die anstehenden Analyse- und Restaurierungsarbeiten sehr aufwendig sind, kann der genaue Zeitpunkt noch nicht genannt werden.