Komplizierte Bauarbeiten an neuer A 4 bei Chemnitz

21.06.2000, 14:41 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)

Seilsägen, Betoninjektoren und etliche hochempfindliche Meßinstrumente sind das Hand-werkszeug der Bauleute am Bahrebachmühlenviadukt bei Chemnitz. Hier sollen die Autos künftig unter einem „Grünen Tisch“ unter dem Schienenweg hindurchfahren, ohne störende Pfeiler. Der Zehn-Millionen-Mark-Bau ist eine Meisterleistung sächsischer Ingenieurkunst.

Mit 15 Bögen erstreckt sich auf 230 Metern Länge der Eisenbahnviadukt über das Bahre-bachtal bei Chemnitz. Seit 1872 trägt er verläßlich die Züge, neuerdings sogar den ICE. Seit den 30er Jahren führt darunter, leicht schräg, die Autobahn A 4 durch. Die Autofahrer haben fast Tuchfühlung mit den Pfeilern des Viadukts. So mancher tritt unwillkürlich auf die Brem-se, seit je Grund für so manchen „grundlosen“ Stau.

Die neue 6-streifige A 4 kann bei täglich 80.000 Fahrzeugen keine solche „Angstbremse“ brauchen. Nach 150 neuen Brücken auf den 120 Kilometern zwischen der Landesgrenze zu Thüringen und Dresden wäre eine 151ste Brücke kein Problem gewesen. Doch der Viadukt steht unter Denkmalschutz. Da war Kopfzerbrechen angesagt bei den Ingenieuren. Nun knabbern sie von unten vorsichtig drei Pfeiler an und setzen sie auf einen Tisch. Darunter wird der 6-streifige Autoverkehr störungsfrei fließen.

Dies ist eine ingenieurtechnische Meisterleistung „made in saxony“, die Ihresgleichen sucht. Denn das Ganze geschieht bei laufendem Eisen- und Autobahnbetrieb. Der Viadukt darf sich dabei höchstens um 5 Millimeter bewegen – das erfordert die Statik. Im Straßenbau kommt es normalerweise auf den einen oder anderen Zentimeter nicht an. Solche Präzision kostet den Steuerzahler deshalb viel Geld. Daß von der Arbeit in zwei Jahren fast nichts mehr sehen sein wird, ist das eigentlich Verblüffende daran.

SMWA-Reportage

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In diesen Tagen wird der erste Pfeiler angeknabbert. Dazu wurden zunächst Stützen in die Erde gerammt, tiefer, als der Pfeiler selbst gegründet ist – sehr vorsichtig allerdings, damit kein Stein unnötige Spannungen erfährt. Etliche Meßfühler an den Pfeilern sind mit Com-putern verbunden. Die Spezialisten vor den Monitoren grübeln über jedem Zeigerausschlag: War das nun normal für einen Dieseltriebzug oder hat ein Bauarbeiter zu nah am Fühler gehustet? Deshalb wird lieber doppelt gemessen, man kann ja nie wissen.

Auf halber Höhe bekommt der Pfeiler eine spezielle Halskrause. Von hier aus wird äußerst vorsichtig mit einer Seilsäge Pfeilerstein für Pfeilerstein durchtrennt. Kaum ist ein zehn Zen-timeter breiter Nut entstanden, wird er umgehend mit einem nach Spezialrezept gemischten Stahlbeton gefüllt. Über eine Injektionslanze wird flüssiger Beton nachgespritzt, damit auch kein noch so schmaler Ritz übrig bleibt. Nach dem Aushärten kann weiter gesägt werden. Das ist nervige Friemelarbeit. Während dessen rauschen unten die Autos weiter und oben rumpelt fast stündlich ein Zug.

Streifen für Streifen wird Stein durch Stahlbeton ersetzt. Endlich durchzieht den Pfeiler eine Stahlbetonplatte, unter welche seitlich Stützen auf die neuen Pfahlgründungen gesetzt wer-den. Diese Stützen sind wie überdimensionierte hydraulische Wagenheber. Über die Hy-draulik können eventuelle Setzungen auf den Millimeter genau ausgeglichen werden.

Nachdem der Pfeiler nun provisorisch über die hydraulische „Hühnerleiter“ aufgefangen ist, kann er darunter Stein für Stein abgetragen werden. Wieder wird jede entstehende senk-rechte Lücke sofort durch Stahlbeton ersetzt. Dazwischen heißt es immer wieder warten. Der Beton muß aushärten. Nach einiger Zeit ist der mehrere Meter dicke Steinpfeiler durch einen relativ schmalen Betonsteg, Teil der späteren Autobahn-Tunnelwand, ersetzt. An drei Pfeilern muß diese komplizierte Arbeit ausgeführt werden. Das Gießen des 30 mal 40 Meter großen Tisches von 1,50 Metern Dicke ist fast wieder Routine. Auf ihm ruhen letztlich die drei gekappten Pfeiler des Viadukts. Darunter wird dann, zwei Meter tiefer als jetzt, die 36 Meter breite, neue A 4 gelegt.

In zwei Jahren wird davon nichtsmehr zu sehen sein. Aller Stau hat dann ein Ende. Der Tisch wird mit Erde bedeckt und bepflanzt. Die gekürzten Pfeiler fallen dann nicht mehr auf. Gegenüber heute erscheint dann das Tal zwischen den heutigen Pfeiler nur etwas fülliger; sozusagen eine Viadukt-Füllung für zehn Millionen Mark.

Achtung Redaktionen: Diese Geschichte eignet sich als Reportage für Print- und
E-Medien. Etwas Technikverständnis sollten Sie mitbringen. Wenden Sie sich für Besuchs-termine auf der Baustelle an Herrn Reintjes bei der DEGES, 030-20243622. Dort gibt es auch ein Faltblatt mit Bauskizzen dazu.


Kontakt

Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Klimaschutz

Pressesprecher Jens Jungmann
Telefon: +49 351 564 80600
Telefax: +49 351 564 80680
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