Erkenntnisse zur rechtsextremistischen Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“
22.11.2011, 14:45 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)
Förderprogramm „Weltoffenes Sachsen“ wird um eine Million erhöht
Innenminister Markus Ulbig: „Es ist erschütternd und alarmierend. Jahrelang wurden quer durch Deutschland schwerste Verbrechen verübt und niemand hat die Täter identifiziert, geschweige denn zur Verantwortung gezogen. Das schockiert die Menschen in unserem Land und es erschüttert das Vertrauen in die zuständigen Ermittlungsbehörden. Diese Empfindungen kann ich nachvollziehen. Ich kann sie vor allem auch nachvollziehen angesichts der neuen Erkenntnisse und vielen weiteren Fragen, die in den letzten Tagen aufgekommen sind. Wir stehen jedoch noch am Anfang der Ermittlungen. Im Moment führen der Generalbundesanwalt und das BKA alle Erkenntnisse zum Strafverfahren aus den Behörden von Bund und Ländern zusammen. Es geht um ein Gesamtbild von den Taten, von den Tätern und ihren Helfern.“
Am 11. November 2011 hat die Bundesanwaltschaft ein Verfahren wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129a StGB gegen Mitglieder des rechtsextremistischen Netzwerks „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) eingeleitet und das BKA mit den Ermittlungen beauftragt.
Zur Unterstützung des BKA und Bewältigung aller anfallenden Ermittlungsaufträge hat das LKA Sachsen eine zentrale Ermittlungs- und Koordinierungsstelle eingerichtet.
Über die Koordinierungsstelle ist rund um die Uhr eine sofortige Bearbeitung von neuen Erkenntnissen gewährleistet. Alle Hinweise und Informationen werden mit der gebotenen Sorgfalt und Intensität auf Bezüge zum Freistaat Sachsen analysiert und bewertet.
Neben der Polizei arbeitet auch das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen (LfV) intensiv an der Aufklärung der Geschehnisse.
Über die aktuellen Fälle hinaus erfolgt eine eingehende Betrachtung zurückliegender ungeklärter Straftaten, die einen Zusammenhang mit den begangenen Taten aufweisen könnten. Nach einer ersten, noch nicht abschließenden Einschätzung könnten Mitglieder der NSU auch für eine Serie von Raubüberfällen verantwortlich sein. Von 1999 bis 2006 verübten jeweils zwei unbekannte Täter mehrere Raubüberfälle auf Post- und Sparkassenfilialen in Chemnitz und Zwickau. Hierzu laufen noch die Ermittlungen.
Zu dieser Straftatenserie wurde seinerzeit akribisch ermittelt und nach den Tätern gefahndet („Kripo Live“ (MDR), „XY-Ungelöst“ (ZDF), Fahndungsplakate, Auslobung von 22.000 Euro). Alle Maßnahmen führten jedoch nicht zur Ergreifung der Täter.
Im Jahr 2000 wandte sich das LKA Thüringen an die sächsische Polizei und bat um Unterstützung bei der Zielfahndung nach drei heute als Mitglieder des NSU bekannten Personen. Die Maßnahmen der sächsischen Polizei führten nicht zur Festnahme der Zielpersonen im Freistaat Sachsen.
Auch das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz wandte sich an das LfV Sachsen und bat um Hilfe bei der Suche nach den Tätern. Das LfV Sachsen hat die Thüringer Kollegen selbstverständlich unterstützt. Darüber hinaus hat das LfV Sachsen eigene Anstrengungen unternommen, um Hinweise auf den Verbleib der Gesuchten und auf ihre Unterstützer zu finden. Leider führten auch diese Maßnahmen nicht zum Erfolg.
Am vergangenen Freitag haben die Justiz- und Innenminister von Bund und Ländern in Berlin unter dem Eindruck des Geschehens über Maßnahmen gegen Rechtsextremismus beraten.
Dort wurden gemeinsam folgende Festlegungen getroffen:
Einrichtung einer Verbunddatei für gefährliche Rechtsextremisten und eines gemeinsamen „Abwehrzentrum Rechtsextremismus".
Als Vorbilder sollen die bereits vorhandene Datei zu islamistischen Terroristen (Anti-Terror-Datei) und das Gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum (GTAZ) zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus dienen.
Eine länderübergreifende Arbeitsgruppe lotete die Risiken und Möglichkeiten eines NPD-Verbotsverfahrens aus. dazu ist eine detaillierte Prüfung erforderlich. Sachsen arbeitet in diesem Gremium selbstverständlich aktiv mit.
Erarbeitung eines Bundeslagebildes
In Vorbereitung der Innenministerkonferenz wird ein gemeinsames Lagebild von Polizei und Verfassungsschutz zu dem Thema erarbeitet.
Ziel ist es, eine faktengestützte und erforderliche Neubewertung des gewaltbereiten Rechtsextremismus vornehmen können.
Innenminister Markus Ulbig: „Für ein abschließendes Fazit ist es natürlich zu früh. Ziel ist es eine faktengestützte und erforderliche Neubewertung des gewaltbereiten Rechtsextremismus vornehmen zu können.
Wir brauchen keinen Aktionismus sondern gründliche Analyse, erst dann können die notwendigen Schlussfolgerungen für Strukturen gezogen werden.“
Für die Sächsische Staatsregierung ist und bleibt die Bekämpfung des politischen Extremismus, auch und gerade des Rechtsextremismus, eine Daueraufgabe. Zusammen mit allen demokratischen Kräften nehmen wir deren Bekämpfung sehr ernst. Eine ausgewogene Kombination von präventiven und repressiven Maßnahmen und deren langfristige Ausrichtung auf allen gesellschaftlichen Ebenen sind dabei entscheidend.
Mit dem Landesprogramm „Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz“ unterstützt der Freistaat Vereine und Initiativen sowie Kommunen bei ihrer Arbeit vor Ort. Seit 2005 wurden darüber über 600 Projekte mit über 11 Millionen Euro Landesmitteln unterstützt.
Das Leitziel des Landesprogramms ist es, die demokratische Kultur in Sachsen zu stärken, um durch Aufklärung, demokratische Bildung und Stärkung der Toleranz extremistischem Gedankengut den Nährboden zu entziehen. Ein Erfolg dieser Förderung ist die Entwicklung einer breiten und bunten Trägerlandschaft, die sich diese Ziele zu eigen gemacht hat. Doch noch immer gibt es sogenannte "Weiße Flecken", in denen sich eine derartige Struktur nur langsam entwickelt. Um gezielter in diese Regionen hineinwirken zu können, sind weitere Projektmittel wichtig.
Innenminister Markus Ulbig: „Ab dem kommenden Jahr wird das Landesprogramm um eine Million Euro erhöht. Damit werden dem Programm jährlich rund drei Millionen Euro zur Verfügung stehen. Speziell sollen über diese Erhöhung erfolgreich vom Bund angeregte Projekte im Freistaat fortgeführt werden. Wir werden außerdem anregen, in den Regionen weitere Koordinierungsstellen zu schaffen, wie es bereits durch die „Lokalen Aktionspläne“ begonnen wurde. Auch neue Modelle können erprobt und die wissenschaftliche Forschung/Evaluation unserer Projekte verstärkt werden. So können wir uns zukünftig stärker auf das konzentrieren, was hilft und die Mittel noch effizienter einsetzen.“