Freistaat Sachsen gibt erneut sterbliche Überreste australischer Ureinwohnerinnen und -einwohner an Herkunftsgemeinschaften zurück
28.11.2019, 15:00 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)
Kunstministerin Dr. Eva-Maria Stange: »Bewusstsein begangenen Unrechts«
Der Freistaat Sachsen gibt erneut sterbliche Überreste aus einem Museum an Vertreterinnen und Vertreter des Herkunftslandes zurück. Im Beisein einer Delegation verschiedener australischer Communities fand heute mit einer feierlichen Zeremonie im GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig die zweite Rückgabe des Freistaates Sachsen an Australien statt. Sie umfasst die sterblichen Überreste 45 australischer Ureinwohnerinnen und -einwohner, von den Nachkommen als »Ancestors« oder »Old People« bezeichnet. Mitglieder der Gunaikurnai aus Victoria, der Menang Noongar aus Westaustralien und der Ngarrindjeri aus South Australia holen ihre Angehörigen nun nach Hause zurück. Eine dritte Rückgabe an weitere Communities in Australien wird im Frühjahr 2020 erfolgen.
Haarproben gelangten 1880 als Schenkung von Baron Ferdinand von Müller in die Sammlung, der sie bei Pastor Hagenauer aus der Herrnhuter Mission Ramahyuck bestellte. Die sterblichen Überreste der Ancestors oder Old People stammen aus Grabplünderungen sowie von Opfern gewaltsamer Auseinandersetzungen, deren Gebeine über einen Händler in England verkauft wurden. Sie kamen 1892, 1900 und 1903 als Ankauf und Schenkung in das Königlich Zoologische und Anthropologisch-Ethnographische Museum, die Vorgängerinstitution des 1945 gegründeten Museums für Völkerkunde Dresden (MVD). Dieses gehört seit 2010 als Teil der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen zu den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.
Seit 2009 verfolgt die australische Regierung das Ziel einer Restitution. 2017 fanden in Dresden Gespräche zwischen Mitgliedern der australischen Botschaft in Berlin und Mitgliedern der Abteilung Department of Communications and the Arts (Australisches Ministerium für Kommunikation und Kunst) einerseits und der Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Marion Ackermann, sowie Vertreterinnen und Vertretern des Museumsverbundes und des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst andererseits statt. Beide Seiten vereinbarten, die Provenienzforschung zu den menschlichen Gebeinen der australischen Ureinwohner zu intensivieren und eine Rückgabe an das Herkunftsland Australien und die entsprechenden Communities vorzubereiten.
Teil dieser von Dr. Birgit Scheps-Bretschneider geleiteten intensiven Provenienzforschung war eine medizinische Datenerhebung, die von Sarah Fründt, forensische Anthropologin an der Universität Freiburg, Christine Müller-Kuntermann, Fachärztin für Innere Medizin und Notfallmedizin in Leipzig, und Ulrike Böhm, Fachärztin für Rechtsmedizin in Leipzig, durchgeführt wurde. Mit ausschließlich nichtinvasiven Methoden konnten so Aussagen über Alter, Geschlecht, Verletzungen, Krankheiten und Todesursachen getroffen werden. Für alle genannten Menschen von denen die Haarproben stammen, konnten Nachkommen gefunden werden.
Vor der heutigen offiziellen Feierstunde zur Übergabe bereiteten die Vertreterinnen und Vetreter der Communities mit Zeremonien die Heimkehr ihrer Ahnen vor.
I.E. Lynette Wood, Australische Botschafterin in Deutschland: »Diese Rückführung und alle Rückführungen sterblicher Überreste indigener Australier zu ihren Familien und ihrem Herkunftsland ist für indigene Australier enorm wichtig. Die australische Regierung begrüßt das Engagement und die Kooperationsbereitschaft der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst bei der Rückführung von sterblichen Überresten indigener Australier. Wir sind stolz, dass mehrere deutsche Institutionen in diesen Prozess involviert sind. Wir werden auch zukünftig Rückführungsverhandlungen mit weiteren Institutionen führen.”
Eva-Maria Stange, Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst des Freistaates Sachsen: »Die heutige Rückgabe menschlicher Überreste an Vertreterinnen und Vertreter der australischen Gemeinschaften, aus denen sie stammen, ist ein längst überfälliger Schritt. Er ist begleitet von dem Bewusstsein des begangenen Unrechts, durch die Umstände ihrer Aneignung und durch unsere jahrelange Missachtung der ihnen eigenen Würde und Bedeutung für ihre Herkunftsgemeinschaften. Der Freistaat Sachsen bekennt sich zu seiner als Pflicht empfundenen Bereitschaft zur Rückgabe menschlicher Überreste. Das Thema Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, das außerdem Kunst- und Kulturobjekte sowie ethnografische Artefakte umfasst, ist vielschichtig und die darüber in Europa geführt Diskussion kontrovers. Ich freue mich, dass die Kulturministerkonferenz von Bund und Ländern im Oktober die Einrichtung einer Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in Deutschland beschlossen hat. Damit wird es insbesondere Menschen und Institutionen aus den Herkunftsstaaten der Objekte und den betroffenen Herkunftsgesellschaften ermöglicht, sich über die Bestände in Deutschland zu informieren und konkrete Beratung auch zu möglichen Rückführungen und Kooperationen zu erhalten.«
Léontine Meijer-van Mensch, Direktorin der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen: »Als Direktorin der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsens bin ich dankbar diese Rückgabe begleiten zu dürfen. Die Geschichte der Haarproben, die über eine Herrnhuter Mission in die Dresdner Sammlung gelangten und heute hier im Leipziger Völkerkundemuseum zurückgegeben werden, beschreiben eine Vernetzung von Menschen, Orten und Institutionen, die nach einer besonderen Verantwortung verlangt. Als Direktorin der Völkerkundemuseen in Herrnhut, Dresden und Leipzig möchte ich heute dieser Verantwortung gerecht werden. «
Bianca Baxter, Gunaikurnai Woman, Victoria : »Jeder sehnt sich nach seinem Zuhause, das ist auch für unsere Ahnen nicht anders. Es ist tröstlich zu wissen, dass unsere Ahnen zurückgebracht werden in das Land, zu dem sie und ihre Nachfahren gehören.«
Major Sumner, Ngarrindjeri Elder, South Australia :
»Unsere Ahnen, unsere «Old People” nach Hause zu bringen, zurück zu ihrem Land, bringt Heilung für die gesamte Community und das Land.«
Megan Krakouer, Menang Yorga Woman, Western Australia:
»Bei der Rückführung unserer Ahnen geht es um die Anerkennung und Ehrung unserer Leute, und darum, die Ahnen zurückzubringen in ihr Land und sie gemäß unseren Traditionen zu beerdigen. Das trägt bei zur Heilung des erlittenen Traumas, das heute noch spürbar ist.«
Stewart Hansen, Menang Marmon Elder, Western Australia:
»Es geht alles um die Ahnen und was sie wollen.«
Im Jahr 2017 hatte der Freistaat Sachsen sterbliche Überreste aus dem Museum für Völkerkunde Dresden an Hawai’i zurückgegeben. Die zweite Repatriierung erfolgte im April 2019 nach Australien. Nach der heutigen Übergabe werden im nächsten Jahr zum vierten Mal sterbliche Überreste, ebenfalls nach Australien, zurückgegeben. Weitere Restitutionen und Repatriierungen in Zusammenarbeit mit Namibia und Neuseeland für 2020 sind in Vorbereitung.