Strukturentwicklung in Sachsens Braunkohlerevieren nimmt Gestalt an
11.07.2022, 16:49 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)
Staatsminister Thomas Schmidt hat heute (11. Juli 2022) mit Vertretern der betroffenen Landkreise, der Stadt Leipzig sowie von Wirtschaftskammern und Gewerkschaften den Stand und die Perspektiven der Strukturentwicklung im Lausitzer und Mitteldeutschen Revier besprochen. »Mir ist es sehr wichtig, regelmäßig über die aktuellen Entwicklungen auf Bundesebene und die strategische Ausrichtung des Strukturwandelprozesses mit Akteuren der Regionen ins Gespräch zu kommen. Die Zusammenarbeit auf der Fachebene ist bereits sehr intensiv und erfolgreich. Zusätzlich wollen wir uns auf Leitungsebene über die strategische Ausrichtung der Strukturentwicklung austauschen«, erklärte Staatsminister Schmidt.
Bilanz zwei Jahre Strukturentwicklung
Rund zwei Jahre nach Inkrafttreten des Investitionsgesetz Kohleregionen (InvKG) kann die Strukturentwicklung in den beiden sächsischen Revieren eine beeindruckende Bilanz vorweisen: Insgesamt 134 Projekte wurden im sog. vorgezogenen Verfahren und in den bisher drei Sitzungen der Regionalen Begleitausschüsse (RBA) im Mitteldeutschen und im Lausitzer Revier ausgewählt. Der Bedarf an Bundesmitteln (90 Prozent Förderung) für diese Projekte liegt bei 1,5 Milliarden Euro. Davon wurden 40 Projekte mit einem Mittelbedarf von 393 Millionen Euro (nur Bundesmittel) für das Mitteldeutsche Revier ausgewählt, bei einem in der ersten Förderperiode des InvKG (2020-2026) zur Verfügung stehenden Mittelvolumen von 426 Millionen Euro. Für das Lausitzer Revier stehen in der ersten Förderperiode 946 Millionen Euro bereit. Hier wurden 94 Projekte mit einem Umfang von 1,09 Milliarden Euro ausgewählt.
»Es ist ein gutes Zeichen für die Innovationskraft der Regionen und die gute Zusammenarbeit im gesamten Verfahren, dass der Bund fast allen Projektvorschlägen innerhalb kürzester Zeit zugestimmt hat. Auch die Tatsache, dass bereits mehr Projekte ausgewählt wurden, als bis 2026 rechnerisch Mittel zur Verfügung stehen, ist ein positives Signal. So kann sichergestellt werden, dass die Mittel auf jeden Fall den Revieren zu Gute kommen und nicht verfallen«, so Staatsminister Schmidt. »Ebenso wichtig ist es jetzt aber, dass die vielen guten Projektideen auch in die Tat umgesetzt werden. Hier sind vor allem die kommunalen Träger gefordert.«
Bund ist in der Pflicht
Für die Zusammenarbeit mit dem Bund sieht Staatsminister Schmidt noch weitere Potenziale: »Wir müssen insgesamt mehr Tempo in die Umsetzung der Projekte bekommen. Da sehe ich uns als Länder und Kommunen ebenso in der Pflicht wie die Bundesregierung.« Besonders bedeutsame Maßnahmen, von denen eine hohe Strukturwirksamkeit für beide Reviere erwartet wird, sind Verkehrsinfrastrukturprojekte zur Anbindung an die Metropolen. Dazu gehören die geplante Fernverkehrsverbindung Berlin – Cottbus – Weißwasser – Görlitz, der Ausbau der S-Bahnstrecken von Leipzig über Pegau und Zeitz nach Gera sowie von Leipzig über Markranstädt nach Merseburg oder auch die Elektrifizierung des Abschnitts Leipzig – Geithain der Bahnstrecke von Leipzig nach Chemnitz.
Eine hohe Wirksamkeit für die Strukturentwicklung wird auch vom Aufbau je eines neuen Großforschungszentrums im Lausitzer sowie im Mitteldeutschen Revier erwartet, für die die Entscheidungen noch in diesem Jahr getroffen werden, sowie von der Verstetigung und Weiterentwicklung des Center for Advanced Systems Understanding (CASUS) in Görlitz. Diese Projekte benötigen jedoch aufgrund ihrer Komplexität teilweise erhebliche Vorlaufzeiten. Umso wichtiger ist hier eine Beschleunigung der Planung und Umsetzung. Hier steht der Bund in der Pflicht.
Mittel flexibler einsetzen
Vor dem Hintergrund der Diskussion um den vorgezogenen Kohleausstieg sind die betroffenen Bundesländer mit einem Bündel von Vorschlägen zur Beschleunigung der Strukturentwicklung an den Bund herangetreten. Hier geht es um wichtige Themen wie die Flexibilisierung und Erleichterung beim Vollzug des InvKG, vor allem um eine flexiblere und praxistauglichere Ausgestaltung der starren Regelung zu den Förderperioden bei den Finanzhilfen. Die Länder wünschen sich hier eine Regelung, die einem Mittelverfall weitgehend vorbeugt und die Projektrealisierung und Abrechnung auch noch bis zu drei Jahre nach dem Ende der Förderperiode ermöglicht.
»Dies ist eine zentrale Forderung, die auch wir als betroffene Regionen stellen: die zugesagten Finanzhilfen müssen ohne die undurchlässigen Förderperioden zur Verfügung stehen, die insbesondere für die Umsetzung von großen und komplexen Vorhaben ungeeignet sind«, betont Henry Graichen, Landrat des Landkreises Leipzig. »Und auch wenn der Kohleausstieg vorgezogen werden sollte, müssen die Mittel ungekürzt und in vollem Umfang bis zum Jahr 2038 zur Strukturentwicklung vom Bund bereitgestellt werden.«
In den bisherigen Gesprächen konnten die Braunkohleländer mit diesem Wunsch beim Bund noch nicht durchdringen. Mit der Formulierung eines gemeinsamen Zielverständnisses von Bund und Braunkohleländern, dass die Finanzhilfen möglichst vollumfänglich abgerufen werden können und Bund und Länder prüfen, wie ein Mittelverfall verhindert werden kann, wurde in der letzten Sitzung des Bund-Länder-Koordinierungsgremiums am 6. Juli 2022 jedoch ein erster deutlicher Schritt in die richtige Richtung gemacht. Hinzu kommt der Prüfauftrag, wie sichergestellt werden kann, dass der laufende Prozess der kontinuierlichen Projektentwicklung nicht ins Stocken gerät.
Mit einer weiteren wichtigen Forderung zum Bundesprogramm STARK konnten die Länder dagegen durchdringen. Konkret können die Mittel der Folgejahre vorgezogen werden, damit die in der jetzigen Phase wichtigen Projekte, wie Beratung, Vernetzung und Kommunikation frühzeitig wirksam werden. Für das Jahr 2023 stehen nunmehr zusätzliche Finanzmittel zur Verfügung, spätestens ab dem Jahr 2024 sollen die durch die Länder gemeldeten Bedarfe vollständig finanziell untersetzt sein. Damit sollen der »Antragsstau« bei STARK überwunden und neue Anträge zeitnah bearbeitet werden. STARK ist eine wichtige Ergänzung zu den Investitionen nach dem InvKG, weil damit Sach- und Personalkosten für Strukturentwicklungsprojekte unterstützt werden können, z. B. im Forschungsbereich, aber auch bei zivilgesellschaftlichen Initiativen. »Die Zusage zur besseren Ausstattung im Bundesprogramm STARK freut mich besonders für die zahlreichen Initiativen, die den Strukturwandel vor Ort vorantreiben«, so der Staatsminister.
Verfahrensansätze zum Strukturwandelprozess weiterentwickeln
In Bezug auf das Verfahren zur Auswahl der Strukturwandel-Projekte in Sachsen waren sich die Gesprächsteilnehmer einig, dass der eingeschlagene Weg zielgerichtet, aber mit der nötigen Flexibilität weiterverfolgt werden sollte und alles daranzusetzen ist, den Strukturwandelprozess zu beschleunigen. Vorgeschlagen wurden u.a. schnellere Verfahren für kleinere Projekte sowie die frühzeitige Bereitstellung von Projektbeschreibungen an die RBA-Teilnehmer, um diese einzubeziehen und den verschiedenen Interessengruppen eine rechtzeitige Meinungsbildung zu ermöglichen.
Zusammen mit der Sächsischen Agentur für Strukturentwicklung (SAS) sollen für beide Reviere Schwerpunktthemen identifiziert werden, von denen eine hohe Wirksamkeit für den Strukturwandel erwartet wird. Dazu zählen u. a. Kreislaufwirtschaft, Energieregion, Gesundheitsregion, Mobilität & IT sowie Tourismus & Lebenswerte Regionen. Zu diesen Schwerpunktthemen sollen die relevanten Akteurinnen und Akteure auf kommunaler und Landesebene, insbesondere aus Wirtschaft, Kammern, Verbänden und Gewerkschaften im Rahmen von Fachnetzwerktreffen in einen Austausch treten. Ziel ist es, künftig bevorzugt solche Projektideen zu entwickeln, die den Schwerpunkten entsprechen, aber auch Möglichkeiten zu finden, Hemmnisse bei bestehenden Projekten abzubauen.
An dem heutigen Gespräch nahmen neben den amtierenden Landräten Kai Emanuel (Nordsachsen), Michael Harig (Bautzen) und Henry Graichen (Leipzig) auch die beiden gewählten Amtsnachfolger für den Landkreis Bautzen, Udo Witschas, und den Landkreis Görlitz, Dr. Stephan Meyer, teil. »Ich freue mich, dass damit ein reibungsloser Übergang im Lausitzer Revier möglich wird und wir zwei neue Mitstreiter für die Strukturentwicklung gewonnen haben. Auch die Kontinuität durch die eindrucksvoll in ihren Ämtern bestätigten Landräte in den Landkreisen Nordsachsen und Leipzig ist ein gutes Zeichen für das Mitteldeutsche Revier«, so der Minister abschließend.