EU-Kommissar Nicolas Schmit besucht Görlitz
18.11.2022, 12:02 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)
Austausch zu Strukturwandel und Wirkung europäischer Förderprogramme
Am zweiten Tag seines Besuchs in Sachsen hat EU-Kommissar Nicolas Schmit heute (18. November 2022) gemeinsam mit Staatsminister Thomas Schmidt die Stadt Görlitz besucht. »Görlitz ist unsere erste Station, weil hier gleich zwei Herausforderungen deutlich werden«, so Minister Schmidt. »Zum einen ist Görlitz gemeinsam mit seiner polnischen Schwesterstadt Zgorzelec ein eindrucksvolles Symbol für ein geeintes Europa, in dem Staatsgrenzen zwar noch vorhanden sind, aber die Menschen mehr verbindet als trennt. Zum anderen werden hier aber auch die Herausforderungen deutlich, die mit dem Strukturwandel in einer Braunkohleregion verbunden sind.«
Im Ratssaal des Görlitzer Rathauses wurden der Kommissar und der Minister von Oberbürgermeister Octavian Ursu und Landrat Dr. Stephan Meyer begrüßt. Staatsminister Schmidt informierte dort zum aktuellen Stand des Strukturwandels.
»Die Auswirkungen des Strukturwandels sind in vielen Bereichen bereits heute zu spüren. Er wird auch in den kommenden Jahren das Leben und das Umfeld der Menschen prägen. Daher ist es dringend notwendig, alle zur Verfügung stehenden Mittel und Kräfte zu nutzen, um den aktuellen und künftigen Herausforderungen zu begegnen und die Regionen für die Zeit nach dem Kohleausstieg zukunftsfest aufzustellen. Wir müssen dabei auch die Tradition und die Identität der Region im Blick behalten. Die Lausitz soll weiter eine Energieregion bleiben«, so Minister Schmidt.
Kommissar Schmit betonte: »Auf dem herausfordernden Weg des Strukturwandels müssen wir alle Menschen mitnehmen. Dies ist das Versprechen der sozialen Marktwirtschaft. Das bedeutet insbesondere massive Investitionen in Aus- und Fortbildung, damit den Arbeitnehmer/-innen neue Perspektiven für gute und gut bezahlte Arbeit geschaffen werden. Europäische Mittel stehen dabei zur Verfügung, beispielsweise der Europäische Sozialfonds Plus und der Just Transition Fund. Darüber hinaus engagieren wir uns im Rahmen des EU Pakts für Kompetenzen um mit Unternehmen, Sozialpartnern, Bildungsträgern und anderen Interessensgruppen konkrete Schulungsangebote für Arbeitnehmer/-innen in ganz Europa zu schaffen. Zusagen für sechs Millionen Menschen sind bereits vereinbart worden.«
Zu den Mitteln, die der Bund für den Strukturwandel bereitstellt, hat der Regionale Begleitausschuss bereits 103 Projekte mit einem Fördervolumen von mehr als einer Milliarde Euro bestätigt, die in der Lausitz umgesetzt werden sollen.
Mit dem Just Transition Fund (JTF) steht den vom Strukturwandel betroffenen Regionen neben den Bundesmitteln nunmehr ein weiteres, europäisches Instrument zur Verfügung. Der JTF soll mit einem territorialen Ansatz die spezifischen Herausforderungen adressieren und zielgerichtet die Weiterentwicklung der Reviere anhand ihrer Leitbilder unterstützen. Im Gegensatz zu den Mitteln des Bundes können die Mittel des JTF zur Unterstützung von Unternehmen eingesetzt werden.
Darüber hinaus informierte sich Kommissar Schmit über die grenzübergreifende Zusammenarbeit, die von der EU mit Fördermitteln unterstützt wird. Erst im September hatte die EU-Kommission das Interreg-Programm für die Zusammenarbeit zwischen der Republik Polen und dem Freistaat Sachsen für die Förderperiode 2021-2027 genehmigt. 60 Millionen Euro stellt die EU für Projekte zur Verfügung, die Menschen von beiden Seiten der Grenze zusammenbringen. Schwerpunkte der Zusammenarbeit sind Prävention und Anpassung an den Klimawandel, Bildung, Kultur und Tourismus sowie die Kooperationen von Einwohnern und Institutionen. Voraussichtlich ab Januar 2023 können die Anträge für neue Projektideen gestellt werden.
Im zurückliegenden Förderzeitraum 2014-2020 wurden im Rahmen des Interreg-Programms insgesamt 62 Projekte sowie mehr als 340 Kleinprojekte (Begegnungsprojekte) mit einem Fördervolumen von mehr als 66 Millionen Euro durchgeführt. Eines dieser erfolgreichen grenzübergreifenden Projekte wurde beim Besuch des Kommissars vorgestellt. Das Projekt »DenkMal: Unser Erbe – Deine Zukunft« umfasste den Aufbau und die Sanierung von zwei wichtigen Gebäuden in der Europastadt Görlitz-Zgorzelec: das Städtische Kulturhaus in Zgorzelec (ehemals Ruhmeshalle) und das Familienzentrum Tivoli in Görlitz. Diese Maßnahmen wurden durch gemeinsame Kulturerbetage an der Neiße begleitet. Das Partnerdreieck, bestehend aus der Stadtverwaltung Zgorzelec, der Freien evangelischen Gemeinde Görlitz und der Görlitzer Kulturservicegesellschaft mbH bot die Gelegenheit, sich nicht ausschließlich mit der Vergangenheit und den Problemen der Gegenwart intensiv auseinanderzusetzen, sondern auch über Zukunftsperspektiven für die Grenzregion zu sprechen. Das Projekt hatte ein Volumen von mehr als vier Millionen Euro. Es wurde von der EU mit knapp 3,2 Millionen Euro unterstützt.
Kommissar Schmit und Staatsminister Schmidt übergaben dem Görlitzer Oberbürgermeister Octavian Ursu bei ihrem Besuch auch zwei Förderbescheide aus dem Landesprogramm Nachhaltige Soziale Stadtentwicklung ESF Plus 2021-2027, das von der EU mitfinanziert wird. Die Stadt erhielt mit dem ersten Bescheid 126 000 Euro für das Programmmanagement »Innenstadt West / Brautwiese«. Das Management unterstützt und steuert für die Stadt Görlitz die Arbeit verschiedener Träger, die in dem Gebiet Projekte umsetzen, die den sozialen Zusammenhalt stärken.
Weitere 106 000 Euro sind für das Projekt »Gründer_Zeit!« bestimmt. Durch dieses Projekt des Vereins ideenfluß e. V. erhalten kleine Unternehmen und Solo-Selbständige eine Anlaufstelle, das »ahoj«. Ziel des Projekts ist es, junge Menschen dabei zu unterstützen, neue Geschäftsideen zu entwickeln, die sich positiv auf das Zusammenleben in diesem Stadtteil auswirken. Dafür wird neben Austausch- und Qualifizierungsmöglichkeiten auch eine ganz konkrete Unterstützung für Gründungen in Form eines Stipendiums vergeben. Die Fördermittel stammen in beiden Fällen zu 70 Prozent aus dem Europäischen Sozialfonds sowie zu 30 Prozent aus dem Haushalt des Freistaates Sachsen.
»Hier wird deutlich, wie wichtig die Unterstützung der Europäischen Union gerade in dieser Region für das Gelingen des Strukturwandels ist«, so Staatsminister Thomas Schmidt. »Wir müssen vor allem den jungen Menschen eine Perspektive in der Region geben. Die Hilfen, die die EU aus dem Europäischen Sozialfonds dazu für Projekte in benachteiligten Quartieren bereitstellt, sind eine große Unterstützung dabei.«
Den Abschluss des Besuchs in Görlitz bildete ein Gang vom Rathaus zur Altstadtbrücke, wo der Kommissar und der Minister an der Grenze vom stellvertretenden Bürgermeister der Stadt Zgorzelec, Piotr Konwiński begrüßt wurden.
»Wir leben die Europastadt Görlitz/Zgorzelec. Das ist nicht nur in der alltäglichen Gegenwart so, sondern auch auf unserem gemeinsamen Weg in die Zukunft. Ab dem kommenden Jahr wird unser ÖPNV noch enger miteinander verknüpft und um eine regelmäßig fahrende, grenzübergreifende Buslinie erweitert. Intensiv beschäftigt uns derzeit das Projekt der grenzübergreifenden klimaneutralen Fernwärmeversorgung, das auch von der EU unterstützt werden wird", sagt Oberbürgermeister Octavian Ursu.
Landrat Dr. Stephan Meyer ergänzt: »Grenzüberschreitende Bildungskooperationen, Bevölkerungsschutz oder gemeinsame Infrastrukturprojekte sind im Landkreis Görlitz alltägliche Praxis und wichtige Erfolgsfaktoren für den europäischen Gedanken. Eine Perspektive und Chance sehe ich in der Weiterentwicklung der Euroregion Neiße zu einem grenzüberschreitenden Verbund territorialer Zusammenarbeit, um das Zusammenwachsen unserer Dreiländerregion weiter voranzubringen und möglichst viele Vorteile für die Menschen in Polen, Tschechien und Deutschland zu schaffen.«
Hintergrund Strukturwandel
Deutschland wird bis zum Jahr 2038 aus dem Abbau von Braunkohle und der Stromgewinnung daraus aussteigen. Dies stellt insbesondere die Braunkohleregionen in den betroffenen Bundesländern Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt vor große Herausforderungen. Bestehende Arbeitsplätze in den Tagebauen, Kraftwerken sowie damit verbundenen Unternehmen müssen durch neue Beschäftigungs- und Wertschöpfungsmöglichkeiten ersetzt werden.
Der Bund stellt dafür bis zum Jahr 2038 40 Milliarden Euro bereit. Für den sächsischen Teil des Lausitzer Reviers sind von diesen Mitteln 6,88 Milliarden Euro vorgesehen, für den sächsischen Teil des Mitteldeutschen Revieres 3,2 Milliarden Euro.
Von den 40 Milliarden Euro setzt der Bund 26 Milliarden Euro für eigene Maßnahmen ein. Dazu gehören Investitionen in Verkehrswege wie Bundesfernstraßen und Schienenverbindungen, aber auch die Ansiedlung von Bundesbehörden und -einrichtungen, die selbst zu Beschäftigung in der Region führen. Für den sächsischen Teil des Lausitzer Reviers sind von diesen Mitteln 6,88 Milliarden Euro vorgesehen, für den sächsischen Teil des Mitteldeutschen Revieres 3,2 Milliarden Euro.
Weitere 14 Milliarden Euro stellt der Bund für die Braunkohlereviere zur Verfügung. Mit ihnen können die betroffenen Bundesländer gemeinsam mit ihren Kommunen weitere Maßnahmen umsetzen, die die Reviere aufwerten und so Ansiedlungen von Unternehmen und die Schaffung von Arbeitsplätzen erleichtern. Sachsen erhält dafür 2,4 Milliarden Euro für seinen Teil des Lausitzer Reviers sowie 1,08 Milliarden Euro für den sächsischen Teil des Mitteldeutschen Reviers.
Darüber hinaus stehen Sachsen auch Mittel aus dem »Fonds für einen gerechten Übergang« (Just Transition Fund - JTF) der EU in Höhe von rund 645 Milliarden Euro zur Verfügung. Die EU fördert mit dem JTF diejenigen Gebiete, die aufgrund des Übergangs zu einer klimaneutralen Wirtschaft schwerwiegende sozioökonomische Herausforderungen bewältigen müssen. Im Gegensatz zu den Strukturfördermitteln des Bundes können diese Mittel des JTF auch gezielt für die Förderung von Unternehmen eingesetzt werden und sind damit eine sinnvolle und notwendige Ergänzung. Darüber hinaus können auch Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen gefördert werden. Neben den Braunkohlerevieren wird in Sachsen auch die Stadt Chemnitz zur Gebietskulisse gehören, in der diese Mittel eingesetzt werden. Die Genehmigung der EU für das entsprechende Programm hat der Freistaat Sachsen am 21. Oktober 2022 von der EU erhalten.